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Goldgrube

Goldgrube

Titel: Goldgrube Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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ja widerlich. Grauenhaft. Das kann nicht dein Ernst sein.«
    »Es tut mir leid, daß ich dich damit überfallen muß, aber es gibt keine nette Art, es in Worte zu fassen. Es ist widerlich. Es ist schrecklich. Wir sind alle wie betäubt.«
    »Ist irgend jemand verhaftet worden?«
    »Bis jetzt noch nicht«, antwortete sie. »Die Familie tut, was sie kann, um hilfreich zu sein, aber es sieht nicht gut aus.«
    »Tasha, ich kann das nicht glauben. Mir ist ganz schlecht.«
    »Mir auch. Ein Kollege hat mich in Utah angerufen, nachdem Donovan ihn verständigt hat. Ich habe alles liegen- und stehenlassen und mich in ein Flugzeug gesetzt.«
    »Wen haben sie in Verdacht?«
    »Ich habe keine Ahnung. Soweit ich gehört habe, waren Jack und Bennet gestern abend beide aus. Christie ist früh zu Bett gegangen, und Donovan hat oben in ihrem Wohnzimmer ferngesehen. Myrnas Wohnung liegt hinter der Küche auf der Rückseite des Hauses, aber sie sagt, sie hätte tief und fest geschlafen und überhaupt nichts gehört. Sie ist gerade beim Verhör auf dem Polizeirevier. Vor kurzem ist Christie zurückgekommen. Sie sagt, die Polizisten sprechen immer noch mit Donovan. Warte mal kurz.«
    Sie legte eine Hand über die Sprechmuschel, und ich hörte, wie sie mit gedämpfter Stimme mit jemandem im Hintergrund redete. Als sie sich wieder meldete, sagte sie: »Gut. Ich habe gerade mit dem zuständigen Beamten von der Mordkommission gesprochen. Er möchte die Telefonleitung freihalten, aber er meint, wenn du vorbeikommen willst, sagt er den Jungs am Tor, daß sie dich hereinlassen sollen. Ich habe ihm empfohlen, daß er mit dir sprechen soll, da du diejenige warst, die Guy überhaupt erst gefunden hat. Ich habe ihm erzählt, daß du vielleicht etwas Wichtiges beisteuern könntest.«
    »Das bezweifle ich, aber wer weiß? Ich bin in einer Viertelstunde da. Brauchst du irgendwas?«
    »Im Moment nicht. Wenn niemand am Tor ist, die Codenummer lautet 1-9-2.-4. Gib sie einfach an der Sprechanlage neben der Einfahrt ein. Bis gleich«, sagte sie.
    Ich schnappte mir Blazer und Handtasche und ging zu meinem Wagen hinaus. Der Tag war mild gewesen. Die starken Winde waren weitergezogen und hatten die für die Jahreszeit ungewöhnliche Hitze mitgenommen. Es dämmerte bereits, und sobald die Sonne unterging, würden die Temperaturen fallen. Ich fror jetzt schon, daher schlüpfte ich in meinen Blazer, bevor ich mich hinters Steuer setzte. Früher am Tag hatte ich versucht, mit Hilfe von Scheibenwischern und Waschanlage den Staub von meiner Windschutzscheibe zu entfernen, und nun war sie von einer Reihe ansteigender Halbmonde übersät. Die Motorhaube war mit derselben feinen Staubschicht überzogen, so hell wie Puder. Sogar die Sitzpolster fühlten sich sandig an.
    Ich legte beide Hände aufs Lenkrad und lehnte die Stirn dagegen. Ich fühlte absolut nichts. Mein Denkprozeß war mitten in einer Szene angehalten worden, als hätte jemand auf einer Fernbedienung die Pausentaste gedrückt. Wie konnte es sein, daß Guy Malek tot war? Die ganze letzte Woche war er in meinem Leben dermaßen präsent gewesen. Er war gefunden und zugleich verloren. Er hatte mein Denken besetzt gehalten und Gefühle von Zuneigung und Verdruß ausgelöst. Nun konnte ich mich nicht mehr genau an sein Gesicht erinnern — nur hier und da blitzte etwas auf, der Klang seines »Hey«, das Kratzen der Barthaare an seinem Kinn auf meiner Wange. Schon jetzt war er so körperlos wie ein Geist, nichts als Form ohne Inhalt, eine Kette bruchstückhafter Bilder ohne Beständigkeit.
    Was mir so seltsam vorkam, war, daß das Leben einfach weiterging. Ich sah den Verkehr den Cabana Boulevard entlangfließen. Zwei Türen weiter rechte mein Nachbar sprödes Laub zu einem Haufen auf seinem Rasen zusammen. Wenn ich das Autoradio anstellte, kämen immer wieder Musik, Hinweise auf Sponsoren, Werbespots und Nachrichten. Auf manchen Sendern würde Guy Malek womöglich nicht einmal erwähnt werden. Ich hatte diesen Tag verlebt ohne irgendeine Ahnung, daß Guy ermordet worden war, ohne irgendeine Erschütterung in meiner unterschwelligen Landschaft. Worum geht es eigentlich im Leben? Sind Menschen nicht wirklich tot, bis wir unwiderruflich davon Kenntnis haben? Mir kam es so vor, als wäre Guy erst jetzt, in diesem Augenblick, aus dieser Welt in die nächste katapultiert worden.
    Ich drehte den Zündschlüssel um. Jede simple Handlung schien mir mit Neuem überfrachtet. Meine Wahrnehmungen hatten sich verändert und

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