Goldhort: Ein Mystery-Thriller (German Edition)
von anderen nach Hause gefahren werden, weil er sich nicht mehr gerade halten konnte. Das wird wohl der Gesprächsstoff für einige Wochen sein. Ich weiß nicht, ob ich mich auf den Urlaub im Juli freuen soll. Hoffentlich wird das nicht so eine Katastrophe wie im letzten Jahr.
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Raik versprach mir, sich um mich zu kümmern, sobald er einige wichtige Telefonate und Besprechungen erledigt hätte. Ich nutzte die Zeit alleine, um ein wenig durch das herrschaftliche Haus zu stromern, getraute mich aber nicht, ungebeten in die Zimmer zu schauen. Stattdessen schlich ich die indischen Läufer auf den Fluren entlang und betrachtete die Bilder und Waffen, die man an den Wänden aufgereiht hatte. Außer dem Vorderhaus gab es zwei weitere, etwas kürzere Flügel, an deren Ende sich jeweils eine kleine Wendeltreppe befand, welche im Ostflügel zu einem weiteren Zugang zum Garten führte, im anderen Flügel jedoch zum weinbewachsenen Turm. Das Turmzimmer war verschlossen. Also lief ich die Treppe wieder hinunter und bemerkte, dass sie bis unter das Erdgeschoss führte und an einer stählernen Tür endete. Diese musste äußerst massiv sein, zumindest erweckte sie diesen Anschein, und ich fragte mich, vor wem man wohl die Konservenvorräte so gut schützen müsse. Zurück im Vorderhaus entdeckte ich rechts von der Eingangshalle abgehend, gegenüber dem Esszimmer, die Bibliothek. Sie war außerordentlich groß. Meterhohe Wände mit Büchern bedeckt. Die dazugehörigen steilen Schiebeleitern wirkten nicht sehr vertrauenserweckend. An einer der Wände lehnte ein alter steinerner Kamin. Er war wirklich auf jede erdenkliche Art gesichert, mit Blechen und Steinen – kein Wunder bei diesen Unmengen von leicht brennbaren Büchern. Schwarze Verfärbungen an seinen Außenrändern ließen mich ahnen, dass hier das Feuer schon einmal mehr Futter gefunden hatte, als es sollte. Ich setzte mich auf einen der mit exotischen goldenen Vögeln auf altgrünem Grund bezogenen Ohrensessel nieder, die jedoch bequemer aussahen, als sie letztendlich waren, und ließ meine Blicke über die hohe, mit auserlesenem Stuck verzierte Decke und sämtliche Ecken des Raumes schweifen. In einer von ihnen fand sich eine chinesische Bodenvase mit einigen bizarr geformten Zweigen darin und direkt neben den fast wandbreiten Fenstern, die mannshohe Statue eines Mannes mit Dreizack und Uniformjacke. Alle Einzelheiten dieser Jacke - Knöpfe, Tressen und Kordeln - waren mit penibler Genauigkeit aus dem Stein herausgearbeitet worden. Die Statue wirkte etwas fehl am Platz und mich fröstelte, als ich auf das glatte kalte Material blickte. Zum Glück loderte ein warmes Feuer im Kamin und das war in diesem alten Haus, trotz der noch immer kräftigen Sonnenwärme, auch dringend notwendig.
Auf dem Tisch vor mir lag die neueste Ausgabe einer Tageszeitung. Ich war mir nicht sicher, ob die jemand lesen würde, entdeckte aber gleichzeitig keine Stapel von alten Zeitungen. Es gehörte wahrscheinlich ebenfalls zu den Aufgaben des Personals, sie täglich auszutauschen. Langsam fragte ich mich, ob man sich nicht auf Dauer etwas langweilen würde, wenn man sich um nichts mehr selbst zu kümmern hätte. Nun ja, man könnte Ahnenforschung betreiben. Amüsiert griff ich nach der Zeitung und vertiefte mich darin.
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Die Piraten zogen spät in der Nacht mit Peter und Wil im Schlepptau zurück auf ihr Schiff. Wie erwartet und gewünscht hatte man die beiden fast genötigt, mit ihnen zu kommen, indem man an die alten Zeiten appellierte, und sie wurden sogar gefragt, ob sie nicht wieder bei der Mannschaft mitmachen wollten. Als die Männer dann hörten, dass Wil und Peter dieselbe Strecke zurücklegen wollten wie sie, gab es keine Debatten mehr darüber - sie würden zusammen mit den Piraten reisen. Wil und Peter ließen sich nicht zweimal bitten und hatten natürlich vorher im Gespräch geschickt herausgefunden, welchen Kurs der „Sturmvogel“ nehmen würde, um die gleiche Richtung nennen zu können. Dass Kapitän Ferdinand sich freuen würde, so wie es die Piraten behaupteten, bezweifelten sie, aber das war nicht der Sinn der Sache. Auf dem Schiff angekommen, machte die ganze Bande solch einen Lärm, dass Ferdinand im Schlafwams aus der Kajüte gestolpert kam. „Was ist hier denn los?“, fragte er und musterte misstrauisch die beiden Fremdlinge. Er war sichtlich gealtert. Das ehemals leuchtend rote Haar hatte die Farbe von verschimmelten Orangen. „Wir haben alte
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