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Goldmacher (German Edition)

Goldmacher (German Edition)

Titel: Goldmacher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Stelly
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Bücherwissen könne mit einiger Mühe vom Dümmsten erlernt werden, im Gegensatz zum Willen zur Macht, der nicht zu erlernen sei, der einem Mann entweder in den Knochen stecke oder nicht. Bei seinem Sohn, dem Franz, hatte er keinerlei Zweifel darüber, denn selbst die Transformationsversuche des Tibeters hätten seinen wettkämpfenden Impuls nicht schwächen können. Und so kommentierte Hubert die verbesserten Noten im Zeugnis seines Ältesten eher beiläufig mit dem Spruch: »Schaden kann’s nicht.«

6.
    Kurz vor dem Erntedankfest trafen bei Bauer Buck sechs Hitler-Jungen zum Ernteeinsatz ein. Sie waren dreizehn, vierzehn und fünfzehn Jahre alt. Drei von ihnen reisten aus Niedersachsen in die Holsteinische Schweiz, drei kamen aus Bayern. Tagsüber halfen sie auf verschiedenen Höfen, nachts schliefen sie gemeinsam auf dem Heuboden der Scheune von Bauer Buck. Einer von ihnen war Anton Bluhm aus Hannover, ein anderer Franz Münzer aus München.
    Bis zur Abreise hatte Anton versucht, dem Einsatz durch Kränkeln zu entgehen, doch es gelang ihm einfach nicht, richtig krank zu werden. Franz hingegen hatte sich durch zusätzlichen Sport auf die ungewohnte Erntearbeit vorbereitet. Er übernahm dann auch unmittelbar nach der Ankunft der HJ ler die Führung der kleinen Truppe und ernannte den Jüngsten, den dreizehnjährigen Hans Müller, zu seinem Adjutanten.
    Anton erweckte sofort sein Missfallen, weil er den Morgen- und Abendlauf ausfallen lassen wollte, um in einem Buch zu lesen. In diesem blonden HJ ler, der Franzens Vorstellung von einem Arier, wäre er nur trainierter gewesen, entsprach, erkannte er den Jungen, dem er vor vier Jahren in der S-Kurve an der Uferstraße am See aus dem Heckfenster des väterlichen Horch hinterhergesehen hatte, nicht wieder. Schon damals war er über den Gegenstand, ein Buch, das Antons Aufmerksamkeit gefesselt hatte und ihn das alle Welt beeindruckende Automobil nicht bemerken ließ, enttäuscht gewesen, wie auch jetzt wieder, wenn Anton sich in »Moby Dick« vertiefte.
    An den ersten Abenden fielen die HJ ler, kehrten sie von dem von Franz durchgesetzten halbstündigen Geländelauf im Anschluss an die ungewohnte Arbeit auf dem Feld in die Scheune zurück, bleischwer ins Heu, selbst der athletische Gruppenführer Münzer.
    Anton jedoch, der Untrainierteste, schien der Zäheste zu sein. Die anderen beobachteten, bevor sie einschliefen, wie er noch in seinem Buch las und sich schon wieder der Lektüre widmete, wenn sie aufwachten.
    Franz begann, die Tage bis zum Sonntag zu zählen, wenn nicht auf den Feldern gearbeitet werden musste. Er wollte endlich einmal ausschlafen und danach mit seinem Adjutanten ein Geländespiel als Wettkampf organisieren, ihm fehlte die sportliche Herausforderung, die Feldarbeit langweilte ihn außerordentlich.
    Anton hingegen wollte an diesem ersten freien Tag endlich einmal ungestört in »Moby Dick« lesen. Nachdem er das Buch vom Vater zu seinem zehnten Geburtstag geschenkt bekommen hatte, verschlang er die ersten Kapitel. Doch dann wurde es ihm mühsam, der Geschichte zu folgen, und er legte das Buch beiseite. Vor einigen Wochen hielt er es plötzlich wieder in den Händen, blätterte darin, las die ersten Seiten und wieder packte ihn, wie schon beim ersten Lesen, ein Sog, der ihn dieses Mal weiter in das Geschehen hineinzog. Obwohl der Vater davon abriet, weil das Buch, sollte es verloren gehen, schwer wiederzubeschaffen wäre, verstaute Anton es noch kurz vor der Abreise heimlich in seinem Gepäck. An diesem ersten freien Sonntag nun, den Anton herbeisehnte, weil sich aus der Sicht des Kapitäns Ahab das Schicksal des weißen Wals entscheiden sollte, aus der von Anton das des Kapitäns, feierte das Dorf das Erntedankfest.
    Traditionell wurde das Fest in der größten Scheune des Dorfes begangen, und das war die Scheune von Bauer Buck. Und so konnte Franz auch an diesem Morgen nicht ausschlafen, sondern wurde früh durch lautes Rumoren und die Gespräche von Männern geweckt, die unten auf der Tenne Tische und Bänke aufstellten und Birkenzweige an die Scheunenwände hämmerten. Wenig später begannen Frauen, Girlanden aus Eichenlaub und Ähren zu flechten und mit ihnen die Holzpfeiler zu ummanteln und die Tische zu schmücken.
    Noch verschlafen kroch Franz schließlich an den Rand des Heubodens und beobachtete mit einiger Neugier das rege Treiben unten auf der Tenne. Doch schon bald begann er, sich zu langweilen. Assistiert von dem dicklichen kleinen Hans

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