Goldmacher (German Edition)
entschiedener und nachhaltiger seine Macht als die Wahrheit. Jetzt, an der Sammelstelle am Ostbahnhof, nahm er die Brille aus seinem Marschgepäck und setzte sie auf. Er hatte einen angeborenen Augenfehler und sich daran gewöhnt, manches nicht immer ganz deutlich zu sehen, weil es ihm missfallen hatte, eine Brille zu tragen. Doch seit der Musterung bestand er darauf, eine Brille tragen zu müssen, denn sie sollte ihm noch gute Dienste leisten.
Tatsächlich setzte sich gleich, als Anton mit seiner Truppe nach einem mehrere Tage dauernden Marsch im Zwischenlager unweit der russischen Front eingetroffen war, ein Kamerad dummerweise auf seine Brille. Es war das erste Mal, dass die Gläser zerbrachen. Anton benötigte also eine neue Brille, denn ohne Brille sah er ja nichts, zumindest nicht den Feind. Bis sie eintraf, rückte die Truppe ohne ihn an die Front vor. Endlich mit einer neuen Brille ausgestattet, schloss sich Anton dann jedoch, weil er in Gedanken und mit dem Herzen bei Fräulein Mizzi war, der falschen Truppe an, die sich erst noch auf ihren Fronteinsatz vorbereiten musste, und so blieb er vorläufig in den hinteren Linien und wurde dort als Funker eingesetzt. Um nicht als Drückeberger oder gar als Deserteur zu gelten, meldete er sich anlässlich eines besonders heiklen Einsatzes freiwillig. Kurz vor Abmarsch, Anton hatte sie, um die Stiefel zu schnüren, in der Eile auf den Boden gelegt, trat unglücklicherweise der vorgesetzte Unteroffizier auf die Brille.
9.
Im Gegensatz zu Anton, der vor seinem Kriegseinsatz Überlebensstrategien entwickelt hatte, fieberte Franz bereits vor seinem Schulabschluss der Bewährung an der Front entgegen und meldete sich freiwillig zur Luftwaffe, was ihm zu seiner großen Zufriedenheit die Prüfungen beim Notabitur ersparte. Wegen seiner herausragend guten körperlichen Verfassung wurde er zum Fallschirmspringer ausgebildet und noch vor seinem ersten Einsatz von seinen Ausbildern in höchsten Tönen gelobt.
Franzens Transport an die Front ging im Spätherbst 1943 ebenfalls von München ab, aber nicht wie für Anton vom Ostbahnhof nach Russland, er fuhr vom Hauptbahnhof ab in Richtung Italien.
Den Befehl zu seinem ersten Einsatz hatte der Fallschirmjäger Franz Münzer auf Drängen von Alexandra durch Huberts Vermittlung erhalten: In einer geheimen Sonderaktion sollte die Bibliothek des Benediktinerklosters Monte Cassino unter Franzens Beteiligung nach Rom ausgelagert werden.
Beim Abschiedstee im Münzer’schen Landhaus und nachdem Alexandra ihn in den streng geheimen Auftrag eingeweiht hatte, vermutete Lehrer Heyn sofort, dass sich unter den Werken der jahrhundertealten Bibliothek der Benediktiner jene Geheimschrift befände, die die seit Langem fieberhaft gesuchte Formel für den Zugang zur mächtigsten aller Energien, zum sagenhaften Vril enthielte.
»Im Besitz dieser Formel wird der Führer, werden wir den Krieg gewinnen, und nicht nur den Krieg, sondern die Weltmacht«, raunte Heyn.
Franz wusste, was nun zu tun war: Er, der Fallschirmjäger Franz Münzer, würde diese Geheimschrift mit der Formel sichern, und damit nicht nur den Sieg, sondern die Weltherrschaft.
Endlich in Rom eingetroffen, besuchte Franz am Tag vor seinem Einsatz die Messe im Petersdom. Auf dem Weg zurück zu seiner Unterkunft verirrte er sich jedoch in das Gewirr der Straßen und Gassen von Trastevere, einem Viertel hinter dem Vatikan.
Seit seiner Ankunft in der Ewigen Stadt hatte Franz bei jedem Schritt außerhalb der Kaserne misstrauische Blicke bemerkt und in verschlossene Gesichter gesehen. Nur selten hatte einer die Hand zum faschistischen Gruß gehoben, und wenn überhaupt, dann eher versteckt, fast heimlich.
Feige Italiener, dachte Franz auch jetzt wieder, als er durch die schmalen Straßen irrte und sah, wie die Passanten, kaum bemerkten sie ihn, ihre Blicke senkten, sogar die Seite wechselten. Dabei brauchte er ihre Hilfe, ohne eine Wegbeschreibung würde er nicht wieder zum Petersdom zurückfinden. Er blickte sich um.
In geringer Entfernung vor ihm trat eine junge Frau aus einem der schmalen Häuser auf die enge Straße, einen Korb in der Hand. Sie schien noch fast ein Mädchen zu sein, mit ihrem gewellten dunkelblonden Haar, das ihr bis weit über die Schultern fiel. Franz beschleunigte seinen Schritt und ging auf sie zu, er dachte, er könne sich bei ihr nach dem Weg erkundigen. Und dabei wollte er sie sich dann auch näher ansehen, so hübsch, wie sie zu sein schien.
Sie hörte
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