Goldmacher (German Edition)
durchflutet. Sie strömte bis in die entlegensten Winkel ihres Körpers. Hatte sie sich nicht schon immer nach dieser Wärme gesehnt? Alexandra nippte ein drittes Mal. Und nun wurde ihr mit der Wärme leicht ums Herz. Sie belächelte diesen altvertrauten Fremden, der ihr Mann war, der nicht verstand, wie schwer ihr ums Herz und wie traurig Plus war, seitdem sie keine Tiere mehr halten durften.
»Wir ziehen zurück nach München«, hörte sie Hubert jetzt sagen, während er das goldbraune Lebenselixier, wie sie den Cognac gleich insgeheim nannte, mehrfach im großen bauchigen Glas schwenkte, um erst dann einen Schluck davon zu nehmen.
»Ich ziehe nicht in die Stadt«, erklärte sie gelassen. Sie sei seit der Nacht der Zerstörung nicht mehr dort gewesen und selbst wenn eines Tages alles wieder völlig aufgebaut wäre, würde sie München nicht wiedersehen wollen.
Einen Augenblick empfand Hubert so etwas wie Mitleid für seine Frau, und er griff nach ihrer Hand. Sie war nicht mehr schmal und langgliedrig wie früher, sie fühlte sich kräftig an, breit und knochig.
»Wegen Sepp und Flori?«, fragte er leise.
Alexandra nickte: »Und wegen Plus«, sagte sie.
»Ach ja, Plus«, sagte er und schaute zu ihm hin.
»Ich muss wegen der Geschäfte vor Ort sein, zumindest die Woche über«, erklärte Hubert, »das verstehst du doch, nicht wahr?«
Alexandra verstand und Hubert, der sein Lebensmotto Morgenstund hat Gold im Mund eifriger denn je in die Tat umsetzte, wie stellvertretend für die fehlende Dienerschaft, auf deren Livreeknöpfen der Spruch geprägt gewesen war, bezog eine Wohnung in München und war wieder, oft auch an den Wochenenden, von frühmorgens bis spätabends unterwegs.
Alexandra wohnte nun im ersten Stock, war wieder viel allein und hatte viel Zeit. Tiere gab es nicht mehr zu versorgen, der Garten musste nicht mehr bestellt werden, und auch der Handel wurde nicht länger betrieben. Sie verbrachte viele Stunden in der Bibliothek, Plus zu ihren Füßen, und las die großen Romane der Weltliteratur, für deren Lektüre sie zuvor nie die Muße gefunden hatte. Aber oft saß sie auch einfach nur so da, und es kamen ihr viele Gedanken, die, je öfter sie an dem Lebenselixier nippte, das in einem Schwenker auch auf dem Couchtisch stand, umso bunter und fantastischer wurden. Alexandra begann, Geschichten zu erfinden, wenn sie am Lebenselixier nippte, die sie zwar nie aufschrieb, am Abend aber zum Einschlafen ihren Enkelinnen erzählte.
Die Kinder liebten ihre Geschichten. Doch bald geschah es immer öfter, dass Alexandra während des Erzählens selber einschlief. Dann wurde sie von Rosi geweckt und hinauf in ihre Wohnung im ersten Stock begleitet. Dabei bemerkte Rosi immer öfter den Cognacgeruch. Sie wurde aufmerksamer und bemerkte ihn nun auch mittags, sogar am Morgen bei einem gemeinsamen Frühstück.
Mehrmals am Tag fielen ihr schließlich Alexandras Schritte oben in der Bibliothek auf, die einem schabenden Geräusch, begleitet von einem lauten Quietschen, vorausgingen. An Alexandras Friseurtag ging Rosi hinauf in die Bibliothek, nahm die ersten Bände von Meyers Lexikon heraus und schob, begleitet vom lauten Quietschen, die Schiebetür des Geheimfachs zurück.
Starker Cognacgeruch schlug ihr entgegen, das Fach, einst Versteck für geheime Briefe, vielleicht auch delikate Lektüre, beherbergte jetzt Gläser, mehrere leere und angebrochene Flaschen, ausnahmslos Cognac.
Rosi war nicht sehr überrascht, sie hatte erwartet, diese Zeugnisse von Alexandras geheimer Sucht zu finden, dennoch war sie erschüttert. Sie setzte sich in Alexandras großen Lesesessel, starrte ins Geheimfach und dachte darüber nach, durch wen oder was die Schwiegermutter zur Alkoholikerin geworden war. Nach kurzem Überlegen tippte sie auf den Alten. Der Alte, so nannte sie ihren Schwiegervater, seitdem er auf den Amselhof zurückgekehrt war.
Sie hatte sich gleich unwohl gefühlt unter seinem taxierenden Blick, sie wusste, auch wenn Franz ihr nie etwas gesagt hatte, als Schwiegertochter gefiel sie ihm nicht, er hatte sich für Franz eine Tochter der Großkopferten vom See gewünscht. Er übersah sie meistens. Nur wenn sie schwanger war, schien er sie wahrzunehmen, aber auf eine ihr unangenehme, lauernde Weise.
»Er hofft auf einen Sohn«, meinte Franz, als sie sich bei ihm darüber beschwerte. Franz gab ihr den Rat, sich deshalb nicht zu grämen, doch sie fühlte sich von dem Alten unter Druck gesetzt. So, wie er auch Franz unter
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