Goldrausch in Bozen - Kriminalroman
das Lächeln ihres Vaters, versuchte, sich aus ihrer Gedankenwelt zu befreien.
»Gianna, darf ich dir einen Kollegen vorstellen? Das ist Dottore Lorenzo di Angelo, er hat gerade seine Kanzlei in Mailand eröffnet. Lorenzo hat die corsi di laurea specialistica in Gesellschaftsrecht absolviert. Lorenzo – meine Tochter.«
Als Gianna nicht reagierte, streckte Lorenzo di Angelo ihr seine Hand entgegen. »Angenehm. Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen, Signora dal Monte. Ihr Vater hat mir viel von Ihnen erzählt und, das weiß ich nun, dabei nicht übertrieben.« Der Anwalt lächelte.
Gianna sah auf und blickte in ein schmales, markantes Gesicht, dessen Nase ebenso auffällig groß war wie seine Ohren, die von den grau melierten Haaren nicht bedeckt wurden. Nur noch die Seiten seines Kopfes zierte ein Haarkranz, das Gesicht war von tiefen Stirn- und Nasenfalten durchzogen. Seine Stimme war tief und männlich, doch das Auffallendste an ihm war seine starke, durch und durch maskuline Ausstrahlung.
» Scusi , Signor di Angelo, ich war in Gedanken«, entschuldigte sich Gianna. »Ebenfalls angenehm. Wie kommt es, dass mir mein Vater noch nichts von Ihnen erzählt hat?«
Alfredo dal Monte übernahm es, die Frage für seinen Kollegen zu beantworten. »Gianna, mein Kind, wir wissen beide, wie belastet du durch diese ganze Geschichte bist. Wir wollten dich zur Ruhe kommen lassen. Aber um dich auf den neuesten Stand zu bringen: Ich überlege, eine strategische Allianz mit Lorenzo einzugehen. Du weißt ja selbst, dass wir im Bereich Gesellschaftsrecht etwas dünn besetzt sind. Ich lasse euch jetzt allein, damit ihr euch kennenlernen könnt.«
Gianna wollte protestieren, sie hatte keine Lust auf Small Talk, doch ihr Vater war bereits verschwunden.
»Signora, wenn Sie im Moment lieber allein sein wollen, verstehe ich das voll und ganz.« Di Angelo zeigte Einfühlungsvermögen. »Ihr Vater hat mir gegenüber angedeutet, was geschehen ist. Und der Abend ist noch lang.«
Gianna entspannte sich. Die zurückhaltende Art hatte zur Folge, dass sie plötzlich großes Interesse verspürte, ihr charismatisches Gegenüber kennenzulernen. Di Angelo besaß vollendete Umgangsformen, zeigte Interesse und Respekt gegenüber seiner Gesprächspartnerin und erwies sich zugleich als eloquenter Entertainer, ohne dabei geltungsbedürftig zu wirken. Gianna hatte den Eindruck, als würde sie seinen Charakter sehen, als seien ihm die Wesenszüge in die Wiege gelegt worden. Er musste voller Selbstbewusstsein sein, wusste sicherlich um seine Ausstrahlung und Fähigkeiten, verbarg das alles aber hinter seiner sympathischen unprätentiösen Art. Er wirkte souverän.
So erfuhr Gianna, dass Lorenzo di Angelo sein Jurastudium mit Bestnoten abgeschlossen und bis vor drei Jahren in einer großen Kanzlei in Turin gearbeitet hatte, zunächst als Arbeitnehmer, später als Partner. Die Partnerschaft hatte er dann für eine eigene Kanzlei aufgegeben, da er in seine Heimatstadt Mailand zurückkehren wollte. Er hatte eine Menge Erfahrung, doch noch fehlten ihm die Kontakte vor Ort. Alfredo hatte er vor ein paar Wochen zufällig auf dem Tennisplatz kennengelernt. Sie hatten sich auf Anhieb sympathisch gefunden, sich häufiger getroffen und sich schließlich dafür entschieden, zunächst eine Allianz auf Probe einzugehen.
Doch Lorenzo di Angelos Interessen umfassten mehr als nur Jura. Zeit seines Lebens trieb er Sport. Er fuhr Ski, spielte Tennis, joggte regelmäßig. Er liebte fremde Kulturen, sprach fließend Deutsch, Englisch und Französisch. Er mochte die Berge, bevorzugte angesichts seiner knappen Freizeit jedoch Städtetrips und in größeren Zeitabständen Fernreisen. Er war geschieden, hatte aus der Ehe aber einen Sohn und eine Tochter. Die Familie lebte in Turin. Der Grund der Trennung war sein Beruf gewesen. Seine Frau war nicht damit zurechtgekommen, dass ihr Mann nur selten zu Hause war und dann auch noch Zeit für seine Freizeitaktivitäten einforderte.
Gianna merkte kaum, wie die Zeit verging. Als ihr neuer Kollege sich erhob, um Champagner nachzuschenken, sah sie schnell auf ihre Uhr. Sie hatte sich bereits über zwei Stunden mit di Angelo unterhalten, und die Zeit war wie im Flug vergangen. Dabei sprach sie außerhalb ihrer Fälle eigentlich nur ungern mit Berufskollegen. Doch bei ihrem jetzigen Gesprächspartner galt ihr Interesse auch mehr seinem Auftreten und seiner Präsenz.
Mit einem breiten Grinsen und zwei vollen Gläsern Champagner
Weitere Kostenlose Bücher