Goldrausch in Bozen - Kriminalroman
eine SMS , um sie zu beruhigen. »Alles okay, Gianna ist hier, wir haben eine tolle Zeit, melde mich später. Ciao.«
7
Pflerschtal, ein abgelegener Hof, Sonntag, 1. Januar, 4.00 Uhr
Um zwei lagen sie im Bett, aber Frieda konnte nicht einschlafen. Wirre Gedanken kreisten in ihren betäubten Hirnwindungen, sie hatte das Gefühl, als würde sich die ganze Welt um sie herumdrehen. Zudem war da noch etwas Merkwürdiges, Surreales. Wie eine imaginäre Bedrohung. Aber wovor? Und warum? Das Gegenteil war der Fall. Dieses Silvester bedeutete doch den Aufbruch in eine neue, eine bessere Zeit. Und dennoch …
Wahrscheinlich lag es nur am Alkohol, den sie nicht gewohnt war. Es war nicht ihre Art, so viel zu trinken, und schon gar nicht in Gegenwart ihres Sohnes Hannes. Als Eltern hatte man schließlich eine Vorbildfunktion. Aber die Stimmung war ausgelassen gewesen, sie hatten gar nicht aufhören können zu lachen. Kein Wunder, lag doch ein wunderbares Jahr vor ihnen. Ein Jahr, das einen Wendepunkt markieren würde. Aber würde sich der Reichtum nur positiv auswirken? Hieß es nicht, Geld verderbe den Charakter? Sie glaubte sich an Studien zu erinnern, die das belegten. Demnach waren Menschen mit weniger Geld grundsätzlich einfühlsamer. Ach was, für sie stand außer Frage, dass Geld niemals einen Charakter verändern konnte. Es vermochte höchstens, etwas hervorzulocken, was vorher schon im Verborgenen geschlummert hatte. Manche Menschen trugen dunkle Seiten in sich, die sie, sobald sie sich entfalteten, scheinbar völlig veränderten. Ein rechtschaffener Mensch blieb hingegen immer so, wie er war, egal wie viel Geld oder Macht er hatte. Das Bett begann, sich zu drehen. Wie früher auf der Kirmes, wenn sie mit Hannes Karussell gefahren war. Als sie die Augen schloss, beschleunigte es sich zusehends. Frieda stöhnte auf. Nie wieder würde sie sich dermaßen zum Trinken verführen lassen!
Als sie endlich in einen unruhigen Schlaf fiel, gingen ihre wirren Gedanken nahtlos in einen nicht minder wirren Traum über. Sie sah sich selbst, wie sie aus dem Haus trat. Sie trug eine merkwürdige bunte Daunenjacke, die ihr viel zu groß war. Sie reichte ihr bis über die Knie, ihre Hände waren in den Ärmeln nicht sichtbar.
Hannes baute im Vorgarten einen riesigen Schneemann. Sie gesellte sich zu ihm, klatschte in die Daunenjackenhände und feuerte ihn an. »Super, Hannes, komm, mach ihn größer. Es soll der größte Schneemann werden, den die Welt je gesehen hat. Bis zu den Sternen soll er reichen!« Tatsächlich rollte Hannes wie ein Berserker die Schneekugel zu einem monströsen Kopf. »Warte«, sagte Frieda, »ich hole rasch die Klappleiter aus dem Schuppen, damit du ihm den Kopf auch aufsetzen kannst.« Sie verschwand irre umhertanzend und singend im Schuppen. Es war ihr, als ob sie schwebte. Meine Güte, war das heiß! Sie zog ihre Jacke aus und warf sie achtlos in die Ecke, bevor sie mit der Leiter wieder nach draußen schwebte. »Hier, Hannes, steig hoch, ich werde dir seinen Kopf hinaufreichen!« Ihr Sohn erklomm die Leiter bis zur obersten Sprosse. Obwohl sie ihn von unten betrachtete, hatte sie plötzlich das Gefühl, als würde sie wie ein Engel fliegen und die Szenerie aus schwindelerregender Höhe beobachten.
Wenn nur diese Hitze nicht wäre! Konnten Engel schwitzen? Sie umflog Hannes und den inzwischen nicht mehr kopflosen Schneemann, der mehr als zehn Meter groß sein musste. Neben ihm sah Hannes aus wie eine Ameise. Doch was war das? Vom Himmel rieselten Funken zu Boden, die wie Gold glitzerten. Doch der Schnee schmolz nicht. Jetzt begann auch der gewaltige Schneemann zu tanzen. »Vorsicht, Hannes, nicht, dass er dich niedertrampelt!« Unglaublich, wie leichtfüßig der Riese um Hannes herumtänzelte. Und währenddessen fielen immer mehr Funken wie Schneeflocken vom Himmel herab. Leise, sanft, filigran, anmutig. Freude schöner Götterfunken …
Plötzlich hatte sie wieder Boden unter ihren Füßen. Auch der Schneemann bewegte sich nicht mehr, er war erschöpft. Hannes starrte voller Ehrfurcht an ihm hoch. Die Funken hatten aufgehört zu fallen, dafür schien der Schneemann zu glühen. Ob ihm vom Tanzen auch so heiß geworden war? Wirklich merkwürdig, dass der Schnee bei dieser Hitze um sie herum nicht taute. Sie spürte den Schweiß auf ihrer Haut. »Weißt du was, Hannes? Ein Schneemann sollte niemals nackt sein, komm, lass uns ihm meine Sachen anziehen. Es ist egal, wenn sie ihm nicht passen.« Sie
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