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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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»Hast du Chava auch erpresst? Wie du dich vielleicht erinnerst, war
sie
es, die deinen Liebhaber verletzt hat. Ich habe ihm nur das Leben gerettet.«
    »Ich erinnere mich an alles«, sagte sie und wurde trotz ihrer Angst zornig. »Obwohl du dich vielleicht daran erinnerst, dass auch ich halb zu Tode geprügelt wurde.«
    »Dann beantworte meine Frage.«
    Sie zögerte – und ihr Gesicht verriet die Antwort. »Ich verstehe«, sagte er. »Du hast Angst vor ihr. Wie es scheint, mehr als vor mir.«
    Ihre Kehle war trocken, und sie schluckte. »Was ist sie?«
    »Das ist ihr Geheimnis. Nicht meins.«
    Ein leises Lachen. »Und was bist
du

    »Was ich bin, geht dich nichts an. Du musst nur wissen, dass ich wie sie gefährlich werden kann, wenn man mich ärgert.«
    »Ja?« Sie setzte sich gerader. »Das gilt auch für mich. Ich meine, was ich geschrieben habe. Ich werde zur Polizei gehen, wenn es sein muss.«
    »Eine seltsame Drohung, wenn du das Geld in der Hand hältst. Oder hast du vor, mich weiter zu erpressen, wenn du das Geld ausgegeben hast? Willst du mich nach und nach ausrauben und dich auf meine Diskretion und mein Wohlwollen verlassen? Dann solltest du wissen, dass beide ihre Grenze erreicht haben.«
    »Ich bin keine Diebin«, entgegnete sie trotzig. »Ich habe nicht vor, so etwas jemals wieder zu tun. Ich brauche nur etwas zum Leben, bis das Baby geboren ist und ich eine Arbeit habe.«
    »Und was wirst du mit dem Baby tun? Es hier aufwachsen lassen?« Er sah sich angewidert um.
    Sie zuckte die Achseln. »Es weggeben. Es gibt viele Frauen, die ein Kind wollen. Manche zahlen sogar dafür.« Sie legte eine Gleichgültigkeit an den Tag, die sie nicht im mindesten empfand.
    »Und dein Liebhaber? Weiß er von deinem Vorhaben?«
    »Nenn ihn nicht so«, fuhr sie ihn an. »Er bedeutet mir oder dem Baby nichts. Warum sollte mich interessieren, was er denkt? In der Nacht damals hat er mir geraten, es wegmachen zu lassen. Er hat mich eine intrigante Hure genannt und behauptet, ich könnte nicht beweisen, dass es von ihm ist. Es wäre aus gewesen mit ihm, auch wenn Chava nicht –« Sie kämpfte gegen Tränen. »Aber trotzdem ist es nicht richtig, was sie getan hat. Ich habe gehört, dass er nicht mal mehr gehen kann. Die Ärzte sagen, dass er sein Leben lang Schmerzen haben wird.«
    Sie sah, wie er zusammenzuckte. »Weiß Chava das?«
    »Woher soll
ich
das wissen? Ich war seit damals nicht mehr in der Bäckerei. Von ihrer Hochzeit habe ich nur aus der Zeitung erfahren.«
    Daraufhin wurde der Dschinn mucksmäuschenstill. »Welche Hochzeit?«
    »Das wusstest du nicht?« Sie unterdrückte ein Lächeln und spürte, wie sie endlich die Oberhand gewann. »Sie hat wieder geheiratet,
ganz
kurz nach diesem Abend. Einen Mann namens Michael Levy.« Das nackte Entsetzen in seinem Gesicht machte sie mutiger, und sie plapperte unüberlegt weiter. »Er ist Sozialarbeiter, deswegen ist er natürlich so arm wie eine Kirchenmaus. Aber sie hat ihn trotzdem geheiratet, also muss zwischen ihnen etwas sein, glaubst du nicht?«
    »Sei still«, flüsterte er.
    »Und ihr beiden habt so
vertraut
gewirkt, wie ihr zusammen getanzt habt –«
    »Sei still!«
    Er starrte unverwandt auf die Wand. Seine Miene erinnerte ihn an die ihres Vaters, wann immer er schlechte Nachrichten erhalten hatte: als wollte er die Wahrheit durch reine Willenskraft aus der Welt schaffen. In dieser Beziehung war er wie jeder andere Mann. Einen Moment lang tat er ihr nahezu leid.
    »Das Geld in deiner Hand«, sagte er angestrengt. »Betrachte es als Darlehen. Du wirst es zurückzahlen, und zwar bald. Und wenn du mir oder Chava oder jemand anderem noch einmal drohst – dann wirst du was erleben. Meine Geduld mit dir ist zu Ende.«
    Mit diesen Worten streckte er die Hand und berührte den brennenden Docht der Kerze mit dem Finger. Die Flamme explodierte und wurde zu einem weißglühenden Feuerstrahl. Sie schrie auf und wandte sich ab, hielt die Hand vor die Augen. Einen Augenblick später brannte die Kerze erneut normal. Und als sie wieder sehen konnte, war er verschwunden.

    Um die Ecke vom Wohnheim befand sich die unauffällige Kellerkneipe Zum gescheckten Hund. Ein beliebter Treffpunkt von Hafenarbeitern und Tagelöhnern, war sie dennoch mitten am Nachmittag ein ruhiger Ort, während die Frühschicht auf den Feierabend hinarbeitete und die Nachtschicht die morgendlichen Exzesse ausschlief. Die Kneipe war bis auf zwei Personen leer, den Wirt, der die Ruhe nutzte, um das

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