GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit
im Raum. Das Sirren wurde flacher und tiefer, als würde die Apparatur ein ganzes Stück vor ihnen getragen. Aber sie war noch da, direkt vor Deryn.
»Hast du das gemacht?«, fragte sie Alek.
Der Junge schüttelte den Kopf und bat um Stille, indem er die Hand hob. Er wandte sich dem Perspikuitiven Loris zu.
Deryn blinzelte ins grünliche Dämmerlicht, und schließlich sah sie es auch. Jedes Mal, wenn Bovril Atem holen musste, wurde die Apparatur für einen Moment lauter, dann jedoch wieder leiser.
»Macht Bovril das?«, fragte sie.
Alek legte eine Hand auf ein Ohr und schloss die Augen. »Das Brummen von Bovril macht die Maschine irgendwie leiser, so als würden sich die zwei Geräusche gegeneinander aufheben.«
»Aber wie ?«
Alek schlug die Augen auf. »Ich habe keine Ahnung.«
»Na ja, ich schätze, das ist eine Frage für Miss Eierkopf.« Deryn packte die Griffe der Apparatur. »Wir hätten da noch eine kleine Schleichtour zu erledigen.«
Die Apparatur war zu zweit relativ leicht zu tragen, doch sobald sie draußen im Laderaum waren, sah Deryn, wie verzwickt die Sache werden würde. Zwischen den Schlafenden war nur ein schmaler Pfad frei, der wie eine kleine Schneise durch ein Brombeergebüsch führte.
Alek ging voran, langsam und dennoch zielstrebig. Deryn folgte ihm, aber dabei wurden ihre Handflächen bald vom Schweiß nass. Wenn ihr der Griff aus den Händen rutschte, so viel stand fest, würde derjenige, auf dem die Apparatur landete, einen Heidenaufruhr veranstalten.
Das Sirren der Apparatur schien hier noch leiser zu sein, einerseits durch Bovrils geheimnisvollen Stimmtrick, andererseits, weil die dicht gedrängten Leiber alle Geräusche dämpften. Was zu hören war, ging im Rauschen des Windes unter, der an der Gondel vorbeistrich.
»Vorsichtiges Heraustragen.«
Während sie mit Alek zum Bug unterwegs war, veränderten sich die Blitze in den Glaskugeln leicht, bis sie senkrecht in die Höhe zeigten. Deryn starrte an die Decke, rief sich die Pläne in Erinnerung, die sie hundertmal aus dem Handbuch der Aeronautik abgemalt hatte.
Auf dem Deck über ihnen lagen die Bäder der Offiziere, und darüber …
»Natürlich«, zischte sie. Über den Bädern lag das Laboratorium von Dr. Busk, das der Obereierkopf Mr. Tesla als Kabine überlassen hatte.
Bei dieser Erkenntnis blieb sie aus heiterem Himmel stehen, während Alek gerade mit einem langen Schritt über einen schlafenden Russen hinwegsteigen wollte. Zu spät bemerkte Deryn, dass ihr das kühle Metall aus der rechten Hand rutschte …
Gerade noch rechtzeitig streckte sie den Fuß aus – die rechte Ecke der Apparatur landete darauf. Der Schmerz schoss ihr das Bein hinauf. Sie unterdrückte einen Schrei und packte nach den Griffen, um das Gerät wieder zu halten, ehe es auf einen schlafenden Russen fiel.
Alek drehte sich um und blickte sie fragend an.
Deryn deutete mit dem Kopf zum Lagerraum und hatte Angst, dass der unterdrückte Schmerzensschrei noch herauskommen würde, wenn sie den Mund öffnete. Alek betrachtete die Glaskugeln, sah zur Decke und nickte. Er hielt die Maschine mit einer Hand im Gleichgewicht und schaltete sie mit der anderen aus.
Der Rückweg war sogar noch schwieriger. Jetzt ging Deryn voran. Ihr Fuß tat weh, und jeder der langsamen Schritte über die schlafenden Leiber verursachte weitere Schmerzen. Schließlich jedoch hatten sie die Apparatur zurück in den abschließbaren Lagerraum gebracht. Zusammen mit Alek schlich sie zurück in den größeren Frachtraum und verschloss die Tür hinter sich.
Auf dem Weg zur Treppe ließ Deryn den Blick aufmerksam über die schlafenden Männer gleiten. Keiner rührte sich, und ein Micker Erleichterung konnte sich gegen den pochenden Schmerz im Fuß durchsetzen.
Doch als sie die Treppe hinaufstiegen, regte sich Bovril auf Aleks Schulter und machte ein leises Geräusch, als würde jemand im Dunkeln flüstern.
11. KAPITEL
»Komm, ich mache das«, flüsterte Alek erneut.
Deryn verdrehte die Augen. »Sei nicht dumm. Ich kenne das Schiff bis zum letzten Micker. Du bist noch nie im Laboratorium gewesen.«
»Aber du kannst nicht einfach in den Raum eines Mannes schleichen, während er schläft«, sagte Alek und wurde immer lauter.
»Aber du? Du bist ein brüllender Prinz. Ich kann mir nicht vorstellen, was dich als Einbrecher auszeichnet.«
Alek wollte etwas erwidern, doch Deryn beachtete ihn nicht, sondern sah in beide Richtungen den Gang entlang. Nach einem harten Tag, an dem
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