Goliath: Roman (German Edition)
erhalten«, sagt Emad Yavari.
Farid, sein jüngerer Bruder, nickt. »Man möchte ja meinen, dass wenigstens einer von seinen Generälen ihm inzwischen eine Kugel in den Kopf gejagt hätte.«
»Unmöglich. Niemand kommt nah genug an ihn heran«, erwidert Emad. »Abgesehen davon hält er sich gar nicht in dem Palast da auf. Aber ich weiß genau, wo dieser feige Mörder steckt.«
Simon Covah tritt zu einem der Fenster, wie immer fasziniert von der Ruhe der Meerestiefe. Er starrt auf sein Spiegelbild und fragt sich, warum das Schicksal ihn auf diesen dunklen Pfad der Zerstörung getrieben hat und ob er jemals das Licht am Ende des Tunnels sehen wird.
Als du siebenunddreißig Jahre alt geworden warst, hat sich die Welt grundlegend verändert. Die Sowjetunion hat sich in Luft aufgelöst und damit auch deine Karriere bei der Marine. Du hast jetzt eine Familie, bestehend aus deiner Frau Anna und zwei bildschönen Töchtern, aber aus deiner Heimat ist eine atomare Müllkippe geworden. Die Amerikaner werden auf deine Fähigkeiten aufmerksam, und die Verlockungen des freien Westens sind zu groß, um sie zu ignorieren. Als du schon Pläne schmiedest, deine Familie in die Staaten zu holen, beginnt der Albtraum.
Milošević gibt den Befehl, alle Albaner mit Gewalt aus den von den Serben beanspruchten Gebieten zu vertreiben, und deine Familie gerät mitten in den Wahnsinn des Völkermords. Als du ins Dorf deiner Schwiegereltern kommst, herrscht dort das Chaos. Du gerätst in die Fänge von Miloševićs Killern, sadistischen jungen Männern, die sich als Soldaten getarnt und jedes menschliche Gefühl vergessen haben. Sie brechen dir die Knochen, aber tief im Innern hältst du ihnen stand. Frustriert schleppen sie deine Frau und deine Töchter ins Haus, damit sie Zeugen deiner Folterung werden. Der Anblick dieser Menschen, die du liebst, bricht dir das Herz. Du weinst, wie deine Peiniger es bezweckt haben.
Es ist Zeit, zu sterben. Der Gestank deines eigenen Urins mischt sich mit dem von Benzin, bevor dein Gesicht aufflammt wie Zunder. Du rennst hinaus, so voller Wut und Adrenalin, dass selbst die Kugeln deiner Peiniger dich kaum niederstrecken können.
Monatelang dämmerst du am Rand des Todes vor dich hin; Schmerz und Wut sind deine einzigen Gefährten. Trotz der Skepsis der Ärzte überlebst du. Dein verwüstetes Gesicht ist dir gleichgültig, als du dich daranmachst, die Ungeheuer zu verfolgen, die deine Familie ermordet haben. Es ist dein erster Schritt auf dem Pfad ins Dunkel, und es wird nicht dein letzter sein.
Covah blickt auf, als Gunnar und Rocky von David Paniagua, Trevedi und Kaigbo in die Kommandozentrale geführt werden. »Ihr kommt gerade recht. Wo bleibt Mr. Chau?«
»Keine Ahnung«, sagt David. »Wahrscheinlich liegt er besoffen im Maschinenraum. Simon, ich muss allerhand mit dir besprechen …«
»Jetzt nicht.«
Rocky tritt zu den beiden. Sie lächelt, dann spuckt sie Covah ins Gesicht. »Das ist von Anna und Ihren zwei Töchtern – für das Verbrechen, das Sie kaltblütig begehen wollen.«
David unterdrückt ein Lachen.
Covahs Miene verdüstert sich. Seine Augen werden irre wie die eines Massenmörders. »Wie können Sie es wagen, diese … diese Maßnahme mit den Gräueltaten zu vergleichen, die meine Familie erleiden musste! Wie können Sie es wagen, das Gedächtnis dieser Menschen zu beschmutzen, indem Sie auch nur ihren Namen aussprechen!«
Rocky erwidert seinen starren Blick. »Mord ist Mord, das haben Sie doch selbst gesagt.«
»Manchmal ist es gerechtfertigt, zu töten.«
»Aus wessen Sicht? Aus der von Gott … oder aus Ihrer?«
»Das fragt die Frau, die dazu beigetragen hat, die Massenvernichtungswaffe zu konstruieren, in der wir uns befinden.«
»Wenn man mit dem Säbel rasselt, heißt das noch lange nicht, dass man ihn auch benutzt.«
»Aber wenn man Angst hat, ihn zu benutzen, ist er völlig wertlos. Sagen Sie mir, Commander, wenn Sie Anfang des Zweiten Weltkriegs die Chance gehabt hätten, Hitler zu töten, hätten sie es getan?«
»Das ist doch ganz was anderes.«
»Das ist genau dasselbe. Beantworten Sie die Frage!«
»Ja, aber …«
»Und seine Spießgesellen … wenn es möglich gewesen wäre, sie mit einer Rakete auf einen Schlag zu beseitigen und so den Tod von Millionen Menschen zu verhindern?«
Rocky beißt sich auf die Unterlippe. »Ich weiß nicht. Ja, wahrscheinlich schon …«
»Dann schieben Sie Ihr Ego mal beiseite und sperren Sie die Ohren auf. Was ich heute
Weitere Kostenlose Bücher