Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
so seine Forderung. Schon die Vorstellung, einen solchen Gedanken laut auszusprechen, versetzte die Priester des Sprengels in Angst und Schrecken. Wer konnte es wagen, einen Boss aus der Kirche zu weisen, der den Neugeborenen eines Mitglieds seines Clans zur Taufe trägt? Wer konnte es wagen, einer Ehe nur deshalb den kirchlichen Segen zu verweigern, weil durch sie ein Bündnis zwischen zwei Fa mili en besiegelt wird? Don Peppino ließ auch hier keinen Zweifel:
Wir dürfen nicht zulassen, daß die Funktion des »Paten« bei bestimmten Sakramenten von Personen ausgeübt wird, deren Unbescholtenheit im Öffentlichen und privaten Leben und deren Status als mündige Christen in Frage steht. Wir dürfen niemandem die Sakramente erteilen, der versucht, ungebührlichen Druck auszuüben, obwohl er den Empfang dieser Sakramente nicht verdient hat.
Don Peppino forderte die Camorra zu einem Zeitpunkt heraus, als Francesco Schiavone, Sandokan, polizeilich gesucht wurde und sich im Bunker unter seiner Villa versteckt hielt; als sich die casalesischen Familien untereinander bekämpften und das lukrative Geschäft mit Zement und Müll die neuen Grenzen ihrer Imperien definierte. Don Peppino wollte kein Seelentröster sein, der dem Sarg der hingemetzelten jungen Leute folgt, Soldaten im Dienst der Clans, und den schwarzgekleideten Müttern zuflüstert: »Habt nur Mut.« In einem Interview erklärte er: »Wir müssen einen Keil zwischen sie treiben, um sie in Schwierigkeiten zu bringen.« Er bezog auch politisch Stellung und betonte, es gehe vorrangig um den Kampf gegen die politische Macht als Ausdruck krimineller unternehmerischer Macht, um die Unterstützung konkreter Projekte und um Aufbruch und Erneuerung. Er selbst könne dabei nicht unparteiisch bleiben. »Die Partei wird mit dem gleichgesetzt, der sie vertritt. Oft jedoch vertreten die von der Camorra unterstützten Kandidaten weder eine Politik noch eine Partei; ihre Aufgabe ist es, eine Funktion auszufüllen, eine Leerstelle zu besetzen.« Das Ziel sei nicht, die Camorra zu besiegen. »Sieger und Besiegte«, sagte Don Peppino, »sitzen im selben Boot.« Vielmehr gelte es zu verstehen und zu verändern, Zeugnis abzulegen und anzuklagen, den Pulsschlag der ökonomischen Macht zu erspüren, um die Herzkammer der Clanhegemonie zu finden und anzugreifen.
Ich war nie fromm, keinen Augenblick meines Lebens, aber die Worte Don Peppinos fanden auch bei mir Anklang, denn sie sprengten die engen konfessionellen Grenzen. Er hatte einen Weg gefunden, die religiöse und die politische Sprache auf eine neue Grundlage zu stellen. Und er war zuversichtlich, daß es möglich war, an die Wirklichkeit heranzukommen, sie zu packen und nicht wieder loszulassen. Seine Worte waren geeignet, die Spur des Geldes aufzunehmen, seinem Modergeruch zu folgen.
Pecunia non olet, heißt es. Aber Geld stinkt nur in der Hand des Kaisers nicht. Bevor es in seine Hände gelangt, stinkt es sehr wohl. Es stinkt nach Latrine. Don Peppino lebte und wirkte in einem Landstrich, wo das Geld stinkt, wenn auch nur in dem kurzen Augenblick, da es aus dem Morast geschöpft wird und die Grenze zur Legalität noch nicht überschritten hat. Gerüche, die nur wahrnehmen kann, wer an der Quelle schnuppert. Don Peppino Diana hatte erkannt, daß er diesem Land nicht den Rücken kehren durfte, daß er wachsam bleiben mußte, um zu sehen, zu geißeln und zu verstehen, wo und wie unternehmerischer Reichtum angesammelt wird und wie es zu den blutigen Gemetzeln und den Straf-aktionen, zu den Fehden und dem beharrlichen Schweigen kommt. Auf der Zunge das einzige Mittel, das die Kraft zur Veränderung besaß: das Wort. Und dieses Wort, das nichts verschweigen konnte, war Don Peppinos Todesurteil. Seine Mörder vollstreckten es nicht an einem zufällig gewählten Tag. Es war Don Peppinos Namenstag, der 19. März 1994. Frühmorgens. Don Peppino hatte noch nicht einmal das Meßgewand angelegt. Er befand sich im Gemeindesaal gleich neben seinem Arbeitszimmer. Er war nicht auf Anhieb als Priester zu erkennen.
»Wer ist Don Peppino?«
»Das bin ich ...«
Seine letzten Worte. Fünf Schüsse hallten durch das Kirchenschiff, zwei Geschosse trafen ihn im Gesicht, die anderen an Kopf, Hals und einer Hand. Die Killer hatten auf das Gesicht gezielt und aus nächster Nähe geschossen. Ein Projektil blieb zwischen Jacke und Pullover stecken. Ein anderes zerschmetterte ihm den Schlüsselbund an seiner Hose. Don Pep-pino bereitete sich gerade
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