Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
Büffelmist, den sie dir vor die Haustür kippen.
Sie zermürben dich langsam, aber stetig. Jeden Tag ziehen sie dich ein bißchen mehr aus, bis du splitternackt dastehst, mutterseelenallein, und glaubst, du kämpfst gegen eine Chimäre, ein Hirngespinst, das nur in deinem Kopf existiert. Du fängst an, den Verleumdungen zu glauben, die dich als einen Versager hinstellen - als einen, der sich mit denen anlegt, die es zu etwas gebracht haben, und sie aus Frustration Camorristen nennt. Sie spielen mit dir, wie man Mikado spielt. Sie nehmen alle Holzstäbchen weg, ohne dich auch nur zu berühren, so daß du am Ende ganz allein bist und vor Einsamkeit schier verrückt wirst. Eine Gemütslage, die du dir hier nicht leisten kannst. Den Blick niederzuschlagen ist gefährlich. Du kapierst nicht mehr, wie es läuft und was die Zeichen bedeuten. Du kriegst nichts mehr mit. Deshalb mußt du deine ganze Kraft mobilisieren. Du mußt einen Kraftquell finden, der dich innerlich stärkt, um weitermachen zu können. Christus, Buddha, soziales Engagement, ein sittlich-moralisches Programm, Marxismus, Stolz, Anarchie, Kampf gegen das Verbrechen, Ordnung und Sauberkeit, eine unbändige, nie versiegende Wut, das Süditalienproblem. Irgend etwas. Nicht bloß einen Notanker, sondern eine Wurzel, tief in der Erde verwachsen und unangreifbar. In diesem aussichtslosen Kampf, den du ohnehin nicht gewinnen kannst, gibt es etwas, das du unbedingt bewahren und festhalten mußt. Du mußt dir sicher sein, daß es durch dein an Wahnsinn und Besessenheit grenzendes Engagement noch stärker wird. Diese tief eingewurzelte Kraft erkenne ich inzwischen im Blick derjenigen, die entschlossen sind, bestimmten Mächten ins Auge zu blicken.
Nach dem Mord an Don Peppino fiel der Verdacht sofort auf die Gruppe um Giuseppe Quadrano, ein Clanmitglied, das sich auf die Seite der Gegner Sandokans geschlagen hatte. Es gab sogar zwei Zeugen: einen Fotografen, der gekommen war, um Don Peppino zu gratulieren, und den Kirchendiener von San Nicola. Als bekannt wurde, daß sich die Ermittlungen auf Quadrano konzentrierten, rief der Boss Nunzio De Falco, genannt »‘o lupo« (der Wolf), im Polizeipräsidium Caserta an und bat um ein Treffen, um Fragen bezüglich eines Mitglieds seiner Gruppe zu klären. De Falco lebte in Granada, das bei der territorialen Aufteilung der Macht unter den Casalesen ihm zugefallen war. Zwei Polizeibeamte besuchten ihn auf seinem Territorium. Sie wurden von der Ehefrau des Bosses am Flughafen abgeholt und durch das wunderschöne ländliche Andalusien chauffiert. Nunzio De Falco empfing die Beamten jedoch nicht in seiner Villa in Santa Fe, sondern in einem Restaurant, dessen Gästeschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit überwiegend aus De Falcos Leuten bestand. Sie würden sofort eingreifen, sollten die Polizisten eine Unvorsichtigkeit begehen. Der Boss machte von Anfang an deutlich, daß er den Beamten seine Sicht der Dinge darzulegen gedachte: etwas war geschehen, und das verlangte nach einer Interpretation. Er erstattete keine Anzeige, er denunzierte niemanden - diese Klarstellung war notwendig, um nicht den Namen der Familie zu beschmutzen und ihre Glaubwürdigkeit zu gefährden. Er konnte es sich nicht erlauben, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Der Boss erklärte unumwunden, Don Peppino Diana sei von der rivalisierenden Familie der Schiavone ermordet worden. Sie hätten den Priester getötet, um den Mord den De Falco anzuhängen. »‘0 lupo« beteuerte, er habe unmöglich den Mordbefehl erteilen können, weil sein eigener Bruder Mario dem Priester eng verbunden war. Tatsächlich hatte Don Peppino Mario überzeugen können, auf eine Führungsposition im Clan zu verzichten. Der Priester stand mit ihm in Kontakt und wollte ihn sogar dazu bringen, sich ganz aus dem System zurückzuziehen. Das war einer der größten Erfolge
Don Peppinos, und jetzt benutzte De Falco ausgerechnet das als Alibi. De Falcos Behauptung wurde von zwei Clanmitgliedern gestützt: Mario Santoro und Francesco Piacenti.
Auch Giuseppe Quadrano war in Spanien, zunächst als Gast in De Falcos Villa, später an einem Ort unweit von Valencia. Er hatte versucht, ins Drogengeschäft einzusteigen, um mit dem damit verdienten schnellen Geld im Süden Spaniens einen weiteren italienischen Clan aufzubauen, der kri min elle Geschäfte tätigte. Das gelang ihm nicht. Im Grunde genommen hatte Quadrano immer nur in der zweiten Liga gespielt. Jetzt stellte er sich der spanischen
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