Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
an nichts. Die Lebensmittel in den beiden Kühlschränken hätten ausgereicht, um sechs Personen zwei Wochen lang zu verpflegen. Es gab eine Stereoanlage mit allen Schikanen, dazu Videorekorder und -beamer. Die Spurensicherung der Polizei Neapel benötigte zehn Stunden, um die Alarmanlage und die Schließmechanismen der beiden Zugangstüren zu ergründen. Das Bad verfügte sogar über einen Whirlpool. Alles unterirdisch, eine Art Höhle, zwischen Falltüren und Tunnelgängen.
Walter versteckte sich in keinem Bunker. Selbst als er untergetaucht war, erschien er zu den wichtigsten Versammlungen. Von Bodyguards begleitet, kehrte er am hellichten Tag in seine uneinnehmbare Villa zurück. Die Polizei verhaftete ihn fast zufällig bei einer Routinekontrolle. Acht-, zehn-, zwölfmal am Tag suchen Polizei und Carabinieri die Familien der flüchtigen Camorra-Mitglieder auf, um das Haus zu kontrollieren, vor allem aber, um die Angehörigen zu zermürben und ihre Solidarität mit dem flüchtigen Verwandten zu erschüttern. Die Signora Schiavone empfing die Polizisten stets freundlich und unbefangen und offerierte Tee und Kekse, was aber stets abgelehnt wurde. Eines Nachmittags aber klang die Stimme von Walters Ehefrau schon durch die Gegensprechanlage nervös, und an der Langsamkeit, mit der sie öffnete, merkten die Polizisten sofort, daß etwas nicht stimmte. Während des Rundgangs durch die Villa folgte die Signora den Beamten auf Schritt und Tritt und sprach mit ihnen nicht wie sonst vom unteren Treppenabsatz aus, so daß ihre Stimme durchs ganze Haus hallte. Die Polizei fand Männerhemden, frisch gebügelt auf dem Bett gestapelt und viel zu groß für den Sohn. Walter war also hier. Er war nach Hause zurückgekehrt. Die Polizisten schwärmten sofort aus, um ihn zu suchen. Sie erwischten ihn beim Versuch, über die Mauer zu klettern. Jene Mauer, die er hatte bauen lassen, damit niemand in seine Villa eindringen konnte, verhinderte jetzt seine Flucht. Er wurde gestellt wie ein mieser kleiner Einbrecher, der sich an einer glatten Mauer hochhieven will. Die Villa wurde umgehend beschlagnahmt und stand anschließend sechs Jahre leer. Walter befahl, so viel wie möglich von der Einrichtung zu demontieren. Wenn er selbst die Villa nicht mehr bewohnen konnte, sollte sie möglichst niemand bewohnen können. Sie sollte keiner fremden Nutzung dienen. Er ließ Türen und Fenster aushängen, das Parkett und den Marmor der Treppen abtragen und die wertvollen Kamine entkleiden; sogar die Fliesen im Bad und die Handläufe aus Massivholz ließ er abbauen, ebenso die Lampen, die Kücheneinrichtung, die Möbel aus dem 19. Jahrhundert, die Vitrinen und die Bilder. Er befahl, in allen Zimmern Autoreifen zu verteilen und anzuzünden, damit Wände, Verputz und Säulen ruiniert würden. Doch etwas entging diesem Zerstörungswerk, und auch darin kann man eine Botschaft lesen: das Wasserbecken im oberen Salon, der ganze Stolz des Bosses, blieb unversehrt. Aus einem vergoldeten Löwenkopf rauschte das Wasser und ergoß sich über drei Stufen kaska-denformig abwärts. Das Becken befand sich unmittelbar vor einem Fenster, das den Blick auf den Garten der Villa freigab. Es war ein bleibendes Zeugnis von Walter Schiavones Macht als Bauunternehmer und Camorrist. Wie ein Maler, der sein Bild zerstört, aber seine Signatur auf der Leinwand stehen läßt. Während ich gemächlich durch Hollywood schlenderte, kam es mir plötzlich vor, als würden die legendenhaften, mir übertrieben scheinenden Geschichten doch irgendwie der Wahrheit entsprechen. Die dorischen Kapitelle, die wuchtige Architektur, das doppelte Giebelfeld, das Wasserbecken im Salon und vor allem die Treppe sind Reminiszenzen an Tony Montanas Villa in Scarface.
Während ich diese rußgeschwärzten Räume durchstreifte, hatte ich das Gefühl, als blähte sich mir die Brust, als waren alle meine inneren Organe nur noch ein einziges großes Herz. Den Pulsschlag spürte ich im ganzen Körper, immer stärker. Mein Mund wurde trocken, weil ich immer wieder tief Luft holen mußte, um meiner Beklemmung Herr zu werden. Wenn irgendein Schmieresteher des Clans das Innere der Villa bewachte und mich hier entdeckte, er würde mich kurz und klein schlagen. Ich könnte brüllen wie am Spieß, kein Mensch würde mich hören. Aber entweder hatte mich niemand eintreten sehen, oder die Villa war tatsächlich unbewacht. Eine schäumende Wut stieg in mir hoch, und auf einmal schossen mir die Bilder der Freunde
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