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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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durch den Kopf, die von hier weggegangen waren, im Dienst des Clans standen oder beim Militär gelandet waren. Ich sah vor mir die trägen Nachmittage in diesem wüsten Land, das nur Geschäftemacherei und korrupte Politiker kennt. Hier hatten die Imperien ihren Ursprung, bevor sie nach Norditalien und halb Europa expandierten, während hier nur Giftmüll und dioxinverseuchter Boden zurückblieben. Auf einmal hatte ich Lust, mich mit irgend jemandem anzulegen. Ich mußte mir einfach Luft machen. Ich konnte nicht widerstehen, kletterte auf den Rand des Beckens und pinkelte hinein. Reichlich idiotisch, aber während sich meine Blase entleerte, fühlte ich mich a llm ählich besser. Diese Villa schien mir die Bestätigung, der handfeste
    Beweis für all die kursierenden Gerüchte. Auf einmal hatte ich das verrückte Gefühl, Tony Montana persönlich käme aus einem der Zimmer auf mich zu, begrüßte mich mit großer Geste und hochmütigem Stolz und sagte: »Alles, was ich habe in dieser Welt, ist mein Mut und mein Wort. Und das breche ich nicht. Für niemanden. Ist das klar?« Vielleicht träumte Walter davon, so zu sterben wie Montana, der von Kugeln durchsiebt durch das Gitter der Galerie in den Empfangssalon hinunterstürzt, anstatt sein Leben in der Gefängniszelle zu beenden, gezeichnet von der Basedow-Krankheit, die seine Augen aus den Höhlen treten ließ und ihm den Blutdruck in die Höhe trieb.
    Die Vorlagen für seine Filmepen findet das Kino nicht im authentischen Milieu der Verbrecherwelt, ganz im Gegenteil. Die neue Generation der Bosse hat nicht die klassische kriminelle Karriere hinter sich. Die neuen Bosse verbringen ihr Leben nicht auf der Straße, in ständigem Kontakt mit dem Capozona; sie haben nicht das Messer in der Tasche und auch keine Narben im Gesicht. Sie schauen fern, studieren, machen ein Universitätsdiplom, gehen ins Ausland und beschäftigen sich vor allem mit Investitionsstrategien. Der Film Der Pate ist ein gutes Beispiel. Kein Mitglied der kriminellen Organisationen, ob in Sizilien oder in Kampanien, hatte jemals den Begriff »Pate« (padrino) benutzt, der nur eine philologisch ungenaue Übersetzung des englischen godfather ist. Der Begriff zur Bezeichnung eines Familienoberhaupts oder eines Mitglieds war immer nur compare (Gevatter) gewesen. Nach dem Film jedoch begannen die italienischstämmigen Mafiafa mili en in den Vereinigten Staaten, anstelle des inzwischen altmodischen compare oder compariello das Wort padrino zu verwenden. Viele junge Italoamerikaner, die mit mafiosen Organisationen verbunden waren, eiferten dem Film nach, trugen plötzlich Sonnenbrille und Nadelstreifenanzug und redeten feierlich geschwollen daher. Selbst der New Yorker Boss John Gotti wollte so sein wie Don Vito Corleone. Und Luciano Liggio, Boss der Cosa Nostra, ließ sich mit vorgeschobenem Unterkiefer fotografieren, so daß er Marlon Brando ähnelte, dem Familienoberhaupt im Film Der Pate.
    Mario Puzos Inspirationsquelle war jedoch kein siziliani-scher Boss, sondern Alfonso Tieri, ehemals Boss der Piazza Pignasecca, dem Markt in Neapels Altstadt. Nach dem Tod von Charles Gambino trat Tieri an die Spitze der italienischen Mafiafamilien in den Vereinigten Staaten. Antonio Spavone »‘o malommo« (der Bösewicht), der eng mit Tieri verbundene neapolitanische Boss, erklärte einmal in einem Interview mit einer amerikanischen Zeitung: »Wenn die Sizilianer der Welt gezeigt haben, wie man mucksmäuschenstill ist, so haben die Neapolitaner gezeigt, wie man auftritt, wenn man das Kommando führt. Wie man mit einer Geste zu verstehen gibt, daß befehlen besser ist als ficken.« Die kriminellen Archetypen und das Urbild des charismatischen Mafioso entstammen größtenteils einem nur wenige Quadratkilometer großen Landstrich in Kompanien. Auch Al Capone kam ursprünglich von hier, seine Familie stammte aus Castellammare di Stabia. Er war der erste Boss, der sich mit einer Kinofigur vergleichen konnte. Sein Spitzname Scarface, Narbengesicht, verdankt sich einer Narbe auf der Wange. 1993 gab Brian De Palma seinem Film über einen kubanischen Gangsterboss den Titel Scarface, doch schon Howard Hawks hatte 1932 einen Film dieses Titels gedreht. Damals erschien Al Capone höchstpersönlich mit seiner Entourage am Set, wenn eine wichtige Szene gedreht wurde. Der Boss wollte sichergehen, daß »Scarface« Tony Ca-monte, der nach seinem Vorbild gestaltet war, keine triviale Figur wurde. Gleichzeitig war er darauf bedacht,

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