Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
für eine Stelle in der Personalabteilung beworben hatte. Beim Verlesen des Lebenslaufs hielt sein Gegenüber plötzlich inne.
»Ah ja, ich weiß, woher Sie kommen! Das ist doch die Stadt, aus der dieser berühmte Boss stammt ... Sandokan, nicht wahr?«
»Nein, es ist die Stadt, aus der Peppino Diana stammt!« »Wer?«
Cipriano stand auf und ging. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich fortan mit einem Zeitungskiosk in Rom. Ich erfuhr seine Adresse von seiner Mutter, der ich zufällig in einem Supermarkt begegnete. Sie hatte ihm wohl mein Kommen angekündigt, denn Cipriano meldete sich nicht an der Sprechanlage. Vielleicht wußte er, worüber ich mit ihm reden wollte. Aber ich war fest entschlossen, vor seinem Haus zu warten, stundenlang, ich hätte sogar im Treppenhaus geschlafen. Er beschloß dann doch herunterzukommen. Er begrüßte mich knapp. Wir gingen in einen kleinen Park in der Nähe und setzten uns auf eine Bank, und dann schlug er ein liniertes Notizheft auf, ein dünnes Schulheft, das seinen handschriftlichen Redeentwurf enthielt. Wer weiß, vielleicht gab es in dem Heft auch eine Seite mit Don Peppinos Handschrift. Ich wagte nicht zu fragen. Den Text wollten sie gemeinsam unterzeichnen. Doch dann waren die Killer gekommen, der Tod, die Verleumdungen, die abgrundtiefe Einsamkeit. Cipriano fing an zu lesen, im Ton und mit den Gesten eines ketzerischen Mönchs, der durch die Straßen zieht und den Untergang prophezeit:
Wir lassen nicht zu, Leute, daß die Camorra von unserem Land Besitz ergreift und es zu einem einzigen großen Gomorrha macht, das unweigerlich vernichtet werden wird! Wir lassen nicht zu, Männer der Camorra, daß ihr euch wie Tiere aufführt und nicht wie Menschen; daß hier Gesetze gelten, die anderswo niemals Gültigkeit besäßen, wir lassen nicht zu, daß hier zerstört wird, was anderswo gedeiht. Ihr schafft eine Ödnis rings um eure Villen, in der
einzig eure Willkür herrscht. Vergeßt nicht: damals ließ der Herr Schwefel und Feuer auf Sodom und Gomorrha herabregnen; er zerstörte diese Städte samt dem Umland, die Bewohner und alles, was auf den Feldern wuchs. Aber Lots Frau blickte zurück und wurde zu einer Salzsäule (Genesis 19,12-29). Auch wir müssen gewärtig sein, zur Salzsäule zu werden, denn wir müssen uns umdrehen und sehen, was sich über Gomorrha zusammenbraut, nämlich die vollkommene Vernichtung, wenn sich alles Leben hier weiterhin dem Joch eurer Geschäfte beugt. Seht ihr denn nicht, daß dieses Land Gomorrha ist, seht ihr es denn nicht? Vergeßt nicht: Schwefel und Salz werden seinen Boden bedecken, seine Fläche wird eine einzige Brandstätte sein; keiner wird es je wieder besäen können, und nichts wird aufkeimen; kein Hälmchen wird wachsen; alles wird sein wie nach der Zerstörung von Sodom und Gomorrha, Adma und Zeboijm, die der Herr in seinem glühenden Zorn zerstört hat (Deuter onomium 29,22). Wir sterben auf ein Ja oder Nein, wir dürfen leben auf fremden Befehl. Ihr riskiert jahrzehntelange Gefängnisstrafen, um Macht über Leben und Tod zu gewinnen; ihr scheffelt Unmengen Geld und steckt es in Häuser, die ihr nie bewohnen, in Banken, die ihr nie betreten, in Restaurants, die ihr nicht leiten, in Betriebe, die ihr nicht führen werdet; ihr gebietet über eine tödliche Macht und verbringt euer Leben versteckt unter der Erde, umgeben von Leibwächtern. Ihr tötet und ihr werdet getötet in einem Schachspiel, dessen Könige andere sind, diejenigen, die durch euch reich werden, während ihr euch gegenseitig aufreibt, bis die Felder geräumt sind und nur noch eine einzige Figur auf dem Schachbrett steht. Und diese Figur wird keiner von euch sein. Was ihr hier gierig verschlingt, das spuckt ihr anderswo aus, weit entfernt, wie die Vögel, die ihren Jungen das Futter in den Schnabel stopfen. Aber hier sind keine Vogeljungen, sondern einzig Geier, und ihr seid keine Vögel, sondern Büffel, bereit, einander zu vernichten - hier, wo der Sieg mit Blut und Ge-
walt erkauft ist. Es ist an der Zeit, daß wir aufhören, ein Gomorrha zu sein...
Cipriano war am Ende angelangt. Er hatte, so schien es mir, all jene vor Augen, denen er diese Worte gern ins Gesicht geschleudert hätte. Er atmete schwer, wie ein Asthmatiker. Er machte sein Heft zu und entfernte sich grußlos.
Hollywood
In Casal di Principe hat man ein Hilf szentrum für minderjährige Pflegekinder nach Don Peppino Diana benannt. Die Casa Don Diana befindet sich in der beschlagnahmten Villa von
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