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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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seiner Frau entschied sich Augusto La Torre im Januar 2003, diesen großen Schritt zu tun und auszupacken. Sich und seinen Getreuen legte er vierzig Morde zur Last, er nannte die Orte im Umland von Mondragone, wo die Überreste der Opfer, von Handgranaten zerfetzt, in Brunnen lagen. Sich selbst bezichtigte er zahlloser Erpressungen. Ein Bekenntnis, das mehr auf die militärischen als die wirtschaftlichen Aspekte seines Wirkens abhob. Es dauerte nicht lange, und seine Vertrauten Mario Sperlongano, Giuseppe Valente, Girolamo Rozzera, Pietro Scuttini, Salvatore Orabona, Ernesto Cornacchia und Angelo Gagliardi taten es ihm nach. Sitzen die Bosse erst einmal hinter Gittern, ist Schweigen ihre stärkste Waffe, um ihre Autorität zu wahren und wenigstens nominell die Fäden in der Hand zu behalten, auch wenn sie aufgrund der strengen Haftbedingungen keine direkte Führungsrolle mehr spielen können. Aber der Fall Augusto La Torre liegt anders. Weil auch seine engsten Vertrauten auspackten, brauchte er nicht zu fürchten, daß seine Familie umgebracht wurde. Seine Zusammenarbeit mit der Justiz erschütterte das Wirtschaftsimperium des Mondragone-Kartells offenbar kein bißchen. La Torres Enthüllungen dienten lediglich dazu, die Logik des Mordens und die brutale Geschichte der Macht an der kampanischen Küste begreifbar zu machen. Augusto La Torre erzählte von vergangenen Zeiten, wie so viele Bosse der Camorra. Ohne die Kronzeugen der Justiz könnte die Geschichte der Macht nicht geschrieben werden. Ohne diese Kronzeugen kämen die Fakten, die Details und die genauen Geschehnisse erst zehn, zwanzig Jahre später ans Licht. Als würde ein Mensch erst nach seinem Tod verstehen können, wie seine inneren Organe funktioniert haben.
    Ein Geständnis wie das Augusto La Torres und seines Generalstabs kann leider das Strafmaß entscheidend verringern. Wer die Karten auf den Tisch legt, bekommt die Chance, schon nach wenigen Jahren aus der Haft entlassen zu werden. Man behält die legale wirtschaftliche Macht, nachdem man die militärische Macht an andere, insbesondere an die albanischen Familien, abgegeben hat. Es sieht so aus, als hätten die Bosse beschlossen, ihr Insiderwissen nutzbringend anzuwenden und wahrheitsgetreu und detailliert Auskunft zu geben, um lebenslange Haftstrafen und interne Nachfolgekämpfe zu vermeiden. Eine Art Mediation mit dem Ziel, wenigstens die Machtmittel zu erhalten, die ihnen aus den legalen Aktivitäten erwachsen. Die Zelle behagte Augusto ganz und gar nicht. Jahrzehntelange Haft, wie sie die alten Bosse, unter denen er großgeworden war, standhaft ertrugen, war seine Sache nicht. Er verlangte, daß die Gefängnisküche auf seine vegetarische Ernährung Rücksicht nahm. Und da er das Kino liebte, ein Videorekorder in der Zelle aber nicht erlaubt war, bat er mehrmals den Direktor eines lokalen Fernsehsenders in Umbrien, wo er einsaß, die drei Teile des Paten im Fernsehen zu bringen, damit er sie sich abends vor dem Schlafengehen anschauen konnte.
    La Torres Geständnis hatte, so die Staatsanwaltschaft, etwas durchaus Scheinheiliges. Er konnte es einfach nicht lassen, den Boss zu spielen. Und mit seinen Enthüllungen übte er weiterhin die Macht aus, wenn auch mit anderen Mitteln. Das belegt ein Brief, den Augusto seinem Onkel zustellen ließ. Darin versicherte er ihm, er habe ihn aus den Angelegenheiten des Clans »herausgehalten«. Zugleich ersparte er seinem Onkel und zwei weiteren Verwandten nicht eine unmißverständliche Drohung, mit der er auf die Gefahr eines gegen ihn gerichteten Bündnisses in Mondragone reagieren wollte:
    »Dein Schwiegersohn und dessen Vater fühlen sich von Leuten beschützt, die ihre Leiche spazierenführen.«
    Der Boss war zwar geständig, aber vom Gefängnis in L’Aquila aus erbat er sogar Geld. Er umging die Kontrollen und schrieb Briefe, in denen er Anweisungen erteilte und Forderungen stellte, Kassiber, die er seinem Chauffeur Pietro Scuttini oder seiner Mutter mitgab. Diese Forderungen, so die Staatsanwaltschaft, waren reine Erpressung. Ein höflich gehaltener Brief, adressiert an den Besitzer einer der größten Käsereien der Costa Domizia, belegt, daß Augusto nach wie vor über Druckmittel verfügte.
    »Lieber Peppe, ich möchte Dich um einen großen Gefallen bitten, ich bin nämlich ruiniert. Wenn Du mir helfen willst, aber ich bitte Dich im Namen unserer alten Freundschaft, aus keinem anderen Grund, und auch wenn Du ablehnst, sei gewiß, daß ich Dich immer

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