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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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schützen werde! Ich brauche dringend zehntausend Euro, und dann mußt Du mir sagen, ob Du mir tausend Euro im Monat geben kannst, ich brauche das Geld für meine Kinder ...«
    Der Lebensstandard, den die Familie La Torre gewohnt war, überstieg bei weitem die finanziellen Mittel, mit denen der Staat diejenigen unterstützt, die bereit sind, mit den Behörden zu kooperieren. Ein genaueres Bild von den Vermögenswerten der Familie gewann ich erst, als ich mich in die Akten zu der großangelegten Beschlagnahme vertiefte, die die Staatsanwaltschaft Santa Maria Capua Vetere im Jahr 1992 angeordnet hatte. Konfisziert wurden Immobilien im heutigen Wert von rund zweihundertdreißig Millionen Euro, neunzehn Firmen im Wert von dreihundertdreiundzwanzig Millionen Euro sowie Produktionsbetriebe und Fuhrparks im Wert von hundertdreiunddreißig Millionen Euro. Zu den beschlagnahmten Besitztümern, allesamt in der Umgebung von Neapel und Gaeta sowie entlang der Costa Domizia gelegen, zählten eine Käserei, eine Zuckerfabrik, vier Supermärkte, neun Villen am Meer, Gebäude mit angrenzenden Feldern sowie Wagen der gehobenen Klasse und Motorräder. Jeder Betrieb beschäftigte rund sechzig Mitarbeiter. Das Gericht verfügte darüber hinaus die Beschlagnahme der Gesellschaft, die den Auftrag zur Müllentsorgung der Gemeinde Mondragone erhalten hatte. Eine großangelegte Operation zur Zerschlagung einer Wirtschaftsmacht, die jedoch nur einen geringen Teil des tatsächlichen Clanvermögens darstellte. Beschlagnahmt wurde auch eine überdimensionierte Villa in Ariana di Gaeta, deren Ruhm sogar bis nach Aberdeen gedrungen war. Vier Stockwerke hoch und steil über dem Meer aufragend, mit Swimmingpool und Unterwasserlabyrinth, war sie nach dem Vorbild der Tiberius-Villa in Capri gebaut worden, die dem Kaiser als Residenz gedient und wo er die letzten Jahre seiner Regierungszeit verbracht hatte. Die Villa jenes Kaisers Tiberius, dessen Namen der Stammvater des Clans von Mondragone trug. Es ist mir nie gelungen, die Villa von innen zu sehen. Um mir von diesem kaiserlichen Mausoleum, diesem Vorposten der italienischen Clanbesitzungen ein Bild zu machen, war ich auf die Gerichtsakten angewiesen und auf die Legenden, die sich um die Villa rankten. Der Küstenstreifen wäre wie geschaffen gewesen, kühne architektonische Phantasien zu verwirklichen, aber im Laufe der Zeit verkam die casertanische Küste zu einem wirren Nebeneinander von Häusern und Villen, schnell hochgezogen, um die Tourismusindustrie zwischen dem südlichen Latium und Neapel in Schwung zu bringen. Für die Costa Domizia wurde nie ein Bebauungsplan erstellt, nie eine Baugenehmigung erteilt. Heute leben in den Häusern zwischen Castelvolturno und Mondragone eng zusammengepfercht die Afrikaner, und die Küstenabschnitte, wo Parkanlagen, Ferien- und Tourismus Siedlungen hätten entstehen sollen, sind zu illegalen Mülldeponien verkommen. Die Orte entlang dieser Küste verfügen über keine Kläranlagen. Ein schmutzigbraunes Meer umspült die mit Abfall übersäten Strände. Binnen weniger Jahre wurde auch die letzte schwache Anmutung von Schönheit ausgemerzt. In den Sommermonaten verwandelten sich einige Lokale an der Costa Domizia zu regelrechten Bordellen. Wenn Freunde von mir zu ihrer abendlichen Spritztour aufbrachen, zeigten sie ihre leeren Portemonnaies. Leer, nicht weil die Geldscheine fehlten, sondern weil sie auf diese kleinen, in Alufolie eingeschweißten kreisrunden Dinger, auch Präservativ genannt, verzichteten. Sie wollten klarmachen, daß man getrost ohne Präservativ zum Bumsen nach Mondragone fahren konnte: »Heute abend mach ich’s ohne!«
    Das Präservativ von Mondragone war Augusto La Torre. Der Boss hatte sich nämlich auch zum Wächter über die Gesundheit seiner Untertanen aufgeschwungen. Mondragone wurde zu einem quasi heiligen Bezirk, in dem man vor der am meisten gefürchteten Infektionskrankheit absolut geschützt war. Während sich die ganze Welt mit HIV infizierte, hatte man im Norden der Provinz Caserta alles im Griff. Der Clan ließ größte Vorsicht walten und überwachte die Befunde. Soweit möglich, war die Liste aller HlV-Infizierten immer auf dem neuesten Stand, denn das Territorium durfte nicht infiziert werden. Und so sprach es sich schnell herum, als Augustos enger Vertrauter Fernando Brodella sich angesteckt hatte. Es konnte gefährlich sein, weil er es auch mit den Mädchen im Ort trieb. Weder besorgte man ihm einen guten Arzt noch

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