Google-Mitarbeiter Nr. 59
arbeitete weiter an den Texten für orkuts Interface-Seiten, Userbekanntmachungen und Community-Beschreibungen, sodass ich bereit war, als Sergey einen Tag nach Jonathans beruhigenden Nachrichten eine Info aus Davos schickte, das orkut noch am selben Nachmittag eingeführt werden sollte. Sergey hatte zugestimmt, eine rasche Implementierung zu unterstützen, und dazu stand er auch. Wir würden einen Kompromiss eingehen und orkut.com mit einem kleinen Hinweis versehen: »In Verbindung mit Google.«
Eine Stunde vor der Einführung schickte ich Orkut den Text für seine Homepage: »orkut ist eine-Online Community, die Menschen über ein Netzwerk vertrauenswürdiger Freunde verbindet. Tritt orkut bei und erweitere den Umfang unseres sozialen Kreises.« Ich fügte einen Disclaimer hinzu: »Gute Beziehungen beginnen mit Ehrlichkeit, deshalb lassen wir Sie von vornherein wissen, dass orkut immer noch ein Beta-Service ist. Das bedeutet, dass er am Anfang etwas unzuverlässig ist. Es kann sogar sein, dass Ruhepausen erforderlich sein werden, um Fehler zu beheben. Wir hoffen, dass Sie trotzdem dabei bleiben, während orkut daran arbeitet, sich zu bessern. Letztlich ist es genau das, was gute Freunde tun.« Um 1 Uhr nachmittags gingen die 12.000 Einladungen per E-Mail raus, sich orkut anzuschließen.
Innerhalb der sozialen Netzwerke, die Orkut in Stanford aufgebaut hatte, waren die User höflich, respektvoll und zuvorkommend gewesen. Die User von orkut.com waren das jedoch nicht. Sie begannen sofort, nach Wegen zu suchen, das System zu stören und mit Spam und Pornos zu füllen. Und das gelang ihnen. Es war möglich, nach jedem User in dem System zu suchen und ihm E-Mails mit Hundert-Megabyte-Anhängen zu schicken oder ein Script zu schreiben und jeden als Freund hinzuzufügen. Orkut, der Schöpfer des Projektes, hatte nie zuvor diese Probleme gehabt. Er musste die Site sofort vom Netz nehmen, um die Probleme zu beheben. Ich schrieb eine Fehlermeldung, die besagte, dass wir Verbesserungen vornahmen. Das war zu erwarten gewesen, da orkut nur ein Experiment war.
Die Techniker von Google akzeptierten diese Entschuldigung nicht. Sie zogen die Haut von orkuts Skelett ab und beschnupperten jeden Knochen, den sie finden konnten. Warum war orkut keiner kompletten Sicherheitsprüfung unterzogen worden? Warum diese Eile bei der Einführung? War es nicht unmoralisch, unser Interesse an einer schnellen Einführung über die Sicherheit der User zu stellen? Warum hatten wir überhaupt versucht, Googles Beteiligung zu vertuschen? Die Fragen gingen weiter. Marissa verteidigte mutig die Entscheidung, weiterzumachen, indem sie die Denkweise beschrieb, die einem Start-up innewohnte und die bedeutete, Risiken einzugehen und Dinge entlang des Weges auszubessern. Falls die Entscheidung anders ausgefallen wäre, so deutete sie an, und nicht im letzten Moment der Google-Name an orkut angefügt worden wäre, wäre es prima gewesen.
Der Techniker Howard Gobioff widersprach. »Handle nicht unmoralisch«, sagte er, sei unser zentraler Wert. Das bedeutete, dass wir die Userprivatsphäre bei jedem Service, den wir einführten, schützen müssten, ob er unseren Namen trug oder nicht. Das wäre auch nicht besser gewesen, wenn die orkut-User nicht gewusst hätten, dass Google hinter dem Service steckte, der ihre persönlichen Informationen enthüllte.
Einige verteidigten die Entscheidung der raschen Einführung des Prototyps – um zu experimentieren und innovativ zu bleiben. Aber ihre Stimmen wurden erstickt von dem wütenden Mob, der nach einer Erklärung verlangte, warum man orkut mit untergewichtiger Technik an die Öffentlichkeit gebracht hatte, gehüllt lediglich in eine dünne Verbindung mit Google, die keines der Probleme verbarg. Die Kritik richtete sich nicht gegen Orkut selbst oder seinen bewundernswerten Wunsch, etwas Neues auszuprobieren. Die Wut drehte sich um den Einführungsprozess. Einige Techniker sagten mir, sie hätten meinem ursprünglichen Vorschlag zugestimmt, orkut in Google-Labor einzuführen. Das freute mich zu hören, aber ihre Bestätigung hinterließ bei mir einen bittersüßen Nachgeschmack.
Als ich damals bei Google anfing, hatte ich feste Vorstellungen und lag oft daneben. Zum Glück ignorierten Larry und Sergey meine Ideen. Ich hatte aus dieser Erfahrung gelernt. Nun hatte ich feste Vorstellungen und lag oft richtig. Leider wurden meine Ideen immer noch ignoriert. Ich war nicht sicher, welche Kränkung schmerzhafter war,
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