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Gordon

Gordon

Titel: Gordon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Templeton
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zu untersuchen; und wenn ich mich an seine damalige Stimme und Worte erinnere, verspüre ich noch heute eine solche Müdigkeit und werden mir die Augen so schwer, dass ich, gäbe ich nach und legte ich mich hin, sofort einschlafen würde.

 
     
    8. KAPITEL
     
     
     
    R EGGIE S TARR SAGTE EINMAL ÜBER J ESSIE R YAN , das Scriptgirl: »Ich mach meine Hausaufgaben. Sie kommt. Dann kann sie weiter stricken.«
    Mit mir und Gordon war es nie so. Er »strickte« nie »weiter«. Wenn er mit mir zusammen war, schenkte er mir die ganze Zeit seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Es stimmt, dass diese Aufmerksamkeit häufig verletzend war. Aber selbst wenn ich die Wahl gehabt hätte, wäre es mir so lieber gewesen; es ist besser, bestraft zu werden als nicht bestraft zu werden, denn nicht bestraft zu werden bedeutet, mit Gleichgültigkeit behandelt zu werden. Es gibt keine spektakulären Sonnenuntergänge ohne einen bewölkten Himmel.
    Und so freute ich mich, als Gordon die Gespräche über »mein langes Haar« beendete und sie durch Gespräche über das Belgrave Park Hotel ersetzte, freute mich über diesen Beweis seines Interesses an mir – auch wenn ich trotzdem fortfuhr, ihm Hindernisse in den Weg zu legen, genauso wie ich die Beine zusammenzupressen pflegte, wenn er mich in Besitz nehmen wollte; und gezwungen zu werden, zufrieden stellende Antworten zu geben, war so, wie seiner Männlichkeit Einlass gewähren zu müssen.
    Für mich war das Belgrave Park Hotel ein Monument der Unehrlichkeit, der Täuschung und des Verrats, denn es war der Ort, an dem ich, im fünften Jahr meiner Ehe, unter dem Vorwand, nach London zu fahren, um meine Cousine Sylvia zu besuchen, ein paar Tage gewohnt hatte. Mein Plan war gewesen, mir eine Arbeit zu besorgen und dann meinen Mann zu verlassen.
    Zwei Tage bevor ich nach Leicester hätte zurückkehren sollen, lernte ich in einer Teestube in Piccadilly Derek O’Teague kennen. Die Kellnerin führte mich an den Tisch, an dem er saß, und fragte mich, ob es mir recht wäre, mich »zum Herrn zu setzen«, und als sie mir den Stuhl hervorzog, erhob er sich halb von seinem Platz.
    Ich warf einen Blick auf den mit den Überresten seines Tees, gebuttertem Toast und Honig übersäten Tisch und auf das offene goldene Etui, in dem die schwarzen Zigaretten mit Goldmundstück wie die Tasten eines exotischen Miniatur-Cembalos ruhten.
    »Darf ich Ihnen eine meiner Zigaretten anbieten?«, fragte er.
    »Ja«, sagte ich, »sie sehen faszinierend aus. Ich habe noch nie solche Zigaretten gesehen.«
    »Ich lasse sie speziell für mich anfertigen«, bemerkte er.
    Himmel, dachte ich, er lässt sie speziell für sich anfertigen! – was zweifellos genau das war, was ich hatte denken sollen.
    »Da kommt die alte Mamsell«, sagte er, indem er sich mit seinem goldenen Feuerzeug vorbeugte. »Nehmen Sie bloß keine Muffins oder Rosinenbrötchen. Sie sind zäh wie Leder. Bestellen Sie Toast. Es ist das einzig Essbare in diesem Lokal.«
    »In Ordnung«, sagte ich lachend. »Ich hatte keine Ahnung. Ich bin seit Kriegsanfang nicht mehr hier gewesen. Kommen Sie oft hierher?«
    »Gelegentlich«, sagte er. »Ich gehe überallhin. Steig hinauf zu den Höhen und in die Tiefen hinab. Ich kann nicht anders.«
    »Warum?«, fragte ich.
    Ehe er antwortete, ließ er den Blick durch den Raum schweifen. »Ich bin alles Mögliche«, sagte er, »und unter anderem bin ich Schriftsteller.«
    Wer’s glaubt, dachte ich. Ich hatte noch nie einen Schriftsteller kennen gelernt, aber mir waren die Pause und sein Zögern nicht entgangen. Ich sagte anzüglich: »In dem Fall müssen Sie Ihre Empfindung und Ihre Ekstasen also vermutlich auf Eis legen.«
    »Ah, Sie haben Tonio Kroger gelesen«, sagte er.
    Ich errötete. Das hatte ich nicht erwartet.
    Nachdem wir das Logan’s verlassen hatten, schlenderten wir durch den Green Park und setzten uns auf eine Bank. Es war ein milder grauer Märztag, und die Luft war schwer und unbewegt.
    Er erzählte mir, er sei zwei Jahre lang in der Armee gewesen, habe am Norwegenfeldzug teilgenommen und sei jetzt endgültig draußen. »Ich lachte, und ich weinte«, sagte er, »und ich setzte mir einen Revolver an die Schläfe. Mein Bursche erstattete Meldung. Diesen Psychiatern kann man alles auf die Nase binden. Und da bin ich also, Gott sei’s gedankt.« Es war eine zweideutige Weise, seine Geschichte zu erzählen, und ich sagte mir: Wenn man bedenkt, dass die Leute sich noch immer über Hamlets – echten oder

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