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Gorgon (Horror Stories 1) (German Edition)

Gorgon (Horror Stories 1) (German Edition)

Titel: Gorgon (Horror Stories 1) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Keiser
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regelmäßig an ihre Träume erinnern   können. Oftmals kann ich nur sagen, ob der Traum der vergangenen Nacht angenehm oder unangenehm gewesen war, und es kommt nur ganz selten vor, dass mir Einzelheiten in Erinnerung bleiben.
    Bei den Träumen, die ich vom 17. August an hatte, war es anders. Die Träume waren beinahe so scharf und real wie das Leben selbst.
    Mit dem kleinen Unterschied, dass ich nie direkt in die Handlung mit einbezogen wurde. Ich blieb immer nur der heimliche Zuschauer. Man kann es mit einem Blick in den Fernseher vergleichen, man betrachtet sich einen Film und schaltet dann ab. Oder man wacht auf.
    Der erste dieser Träume führte mich erneut an den Feldweg, der schnurgerade vor mir entlang lief. Die Sonne schien mit der Kraft eines sommerlichen Mittags. Die Sicht verschwamm schon nach wenigen Metern, aber die Hütte, in der Vanessa Brown lebte, war deutlich zu erkennen. Ich nahm zuerst gar nicht wahr, wodurch sich die Hütte im Traum von dem Häuschen, das ich am Nachmittag noch gesehen hatte, unterschied.
    Doch dann erkannte ich, sie sah neuer aus.
    Die Hütte sah so neu aus, wie sie 1975 ausgesehen hatte, kurz, nachdem sie gebaut worden war. Über all dem lag die leise Vorahnung einer gewaltigen Bedrohung.
    Es passierte nichts in diesem Traum. Es gab nur den Blick auf den Feldweg und auf die Hütte, die wie neu aussah. Und dieses bedrohliche Gefühl.
    Ich muss gestehen, dass ich sehr erleichtert war, als ich wieder aufwachte, denn der ungewöhnliche Traum hatte mich geängstigt, und ich war ziemlich überrascht darüber, dass ich ihn mir hatte merken können.
    Tagsüber dachte ich nicht mehr daran. Ich machte auch wieder meinen gewohnten Spaziergang entlang der Hauptstraße zu meinem Kiosk, wo die guten Zigarren auf mich warteten, hielt ein längeres Schwätzchen mit Josh, dem Kioskbetreiber und erfreute mich des sonnigen Tages.
    Nachts kam der Traum wieder.
    Gleicher Ort und gleiche Handlung, nämlich gar keine.
    Ich bewegte mich nie von meinem Platz weg, doch ich sah immer nur die linke Seite der Hütte und den Feldweg, der in verschwommenem Nichts endete.
    Zwar bildete ich mir diesmal ein, leise Stimmen von mehreren Männern zu hören, doch wer auch immer sie waren, die Personen befanden sich außerhalb meines Sichtfelds. Und dieses Sichtfeld beschränkte sich unabänderlich auf die kleine Hütte und auf den schnurgeraden Feldweg.
    So ging das einige Nächte lang (eine ganze Woche, um es genau zu sagen), und allmählich fragte ich mich, ob sich die ersten Anzeichen von Wahnsinn wohl in solch merkwürdigen Träumen äußerten.
    Von dem inneren Zwang getrieben, der mich in jenem Sommer so manches   tun ließ, was ich lieber hätte bleiben lassen, nahm ich am Nachmittag des 25. August wieder den Weg über die Nebenstraße zu dem Feldweg.
    Und wieder stand ich vor dem Apfelbaum. Diesmal verspürte ich keine Lust auf einen Apfel. Der Appetit darauf war mir vergangen. Ich rief mir noch einmal diesen immer wiederkehrenden Traum ins Gedächtnis. Während es für einen zufälligen Beobachter so aussehen musste, als würde ich mit dümmlichem Gesichtsausdruck die Blätter des Baums zählen, regte sich in meinem Verstand etwas. Ich spürte, dass ich kurz davor stand, eine wichtige Entdeckung zu machen.
    Wie eine Woche zuvor ging ich wieder durch das ungemähte Gras und stellte mich unter den Baum.
    Die Erkenntnis rollte wie eine gewaltige Brandungswelle auf mich zu, doch bevor sie mich erreichen konnte, wurde sie von einem Felsen gebrochen.
    Der Fels war die Frau, die wie aus dem Erdboden gewachsen plötzlich vor mir stand. Vanessa Brown.
    Sie stand mir in einer Entfernung von etwa fünf Metern gegenüber und maß mich mit einem Blick, in dem Missbilligung, Interesse und Angst gleichzeitig vorhanden waren.
    Sie war für ihr Alter immer noch hochgewachsen, und ihr dichtes, schneeweißes Haar umrahmte ihr feines Gesicht wie eine Aura der Reinheit. Ihre Augen leuchteten in der Farbe der Äpfel, die die Zweige des Baums, unter dem ich stand, nach unten drückten. In sattem, hellem Grün.
    „Guten Tag“, sagte ich eifrig, um die Situation nicht peinlich werden zu lassen. Mir fiel dabei auf, dass ich die Frau noch nie, solange sie in dieser Stadt lebte, aus der Nähe gesehen hatte.
    Mit ihren fünfundachtzig Jahren (sie war ein Jahr älter als ich, genau, wie Annie es gewesen war) war in ihrem Gesicht, obwohl von zahllosen Runzeln verziert, noch immer die Anmut zu sehen, die ihr vor vielen Jahren

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