Gorgon (Horror Stories 1) (German Edition)
korpulenten Mann, der gerade eine ähnlich beschaffene Dame auf einem Schreibtisch nahm, ihren eigenen Gatten erkannte. Ein glänzender Schweißfilm bedeckte seinen fleischigen Rücken, in den sich knallrot lackierte Fingernägel bemerkenswert tief eingruben, während feiste Waden es gerade eben schafften, sich über seinem gewaltigen Hintern zu kreuzen.
Die Dame auf den Fotos war Edith Rosenberg.
Die Szene spielte sich offensichtlich im Büro ihres Mannes, des Bürgermeisters, ab. Im Hintergrund konnte sie den Wandkalender erkennen, und darauf war deutlich das Datum zu lesen.
Es war der neunte April, ihr Geburtstag.
Das Schwein hatte sie an ihrem vierzigsten Geburtstag betrogen.
Bevor sie ihre beste Freundin Dorothea Connor anrief, wählte sie die Nummer eines Anwalts, um die Annullierung ihrer Ehe in die Wege zu leiten.
*
Big Jack saß auf seinem Bett, den Kopf in die Hände gestützt.
Er befand sich in einem Krankenzimmer des einzigen Hospitals der Stadt, zwei Polizisten standen vor der Tür im Flur Wache.
Innerhalb kürzester Zeit war sein Leben aus der Bahn geraten, die er sich im Laufe der Jahre mit einer Mischung aus Fleiß, Brutalität und Rücksichtslosigkeit zurechtgetrampelt hatte. Er hatte einen Menschen erschossen, und er wusste beim besten Willen nicht mehr, welcher Teufel ihn geritten hatte, ohne Warnung die tödlichen Schüsse abzugeben.
Das wirklich Schlimme daran war, dass er bald nicht mehr Bürgermeister sein würde, soviel stand fest.
Vor etwa einer Stunde hatte seine Frau angerufen. Sie wollte sich scheiden lassen. Irgendwie war sie hinter die Geschichte mit Edith gekommen, und nun hatte sie einen dieser verdammten Rechtsverdreher damit beauftragt, die höchstmöglichen Unterhaltszahlungen aus ihm zu pressen.
Er würde keinen Cent zahlen.
Big Jack erhob sich und ging zu dem großen Fenster. Es ließ sich nicht öffnen.
Nun, er hatte immer bekommen, was er wollte, und dies würde auch hier ein letztes Mal der Fall sein.
Er ging zu seinem Kleiderschrank und entnahm diesem die Hose, die anzuziehen er sich nicht einmal mehr die Mühe machte. Tatsächlich war er nur an dem Gürtel interessiert, den er jetzt aus dem zeltähnlichen Kleidungsstück zog. An der ansonsten kahlen Decke des Krankenzimmers verlief ein dickes, in geschmacklosem Rosa angelegtes Heizungsrohr, dessen Stabilität der schwergewichtige Bürgermeister kritisch prüfte.
Es würde wahrscheinlich halten.
*
„Wissen Sie schon, was heute Mittag passiert ist?“
Dorothea Connor brannte sichtlich darauf, der netten Fleischverkäuferin Mrs. Underwood, der sie immer die neuesten Informationen weitergab, das schier Unglaubliche in den grellsten Farben zu vermitteln. Glücklicherweise war nicht viel Betrieb in der Fleischabteilung des Supermarktes, und so konnte die Frau von Sheriffs Connor in aller Ruhe die noch nicht einmal zwei Stunden alte Neuigkeit verbreiten.
„Um Gottes willen, was denn, Mrs. Connor ?“ Mrs. Underwood hatte den Köder gerne angenommen, ein inzwischen eingeübtes Ritual.
„Der Bürgermeister hat sich im Krankenhaus erhängt. Mr. O’Brian ist tot.“
Mrs. Underwood wog ein blutiges Steak ab. Das waren wahrhaftig unglaubliche Neuigkeiten.
„Das ist ja wirklich entsetzlich“, kam ihre ehrlich gemeinte Antwort. Sie nahm ein neues Stück Fleisch zum Abwiegen.
„Er konnte wohl mit dem Mord auf seinem Gewissen nicht weiterleben“, fügte sie hinzu.
Mrs. Connor fuhr mit der Schilderung fort.
„Der arme Desmond Rosenberg, der wegen seines schlimmen Schocks noch im Hospital behandelt wurde, hat ihn gefunden. Er hatte sich in der Tür geirrt und war unvermittelt auf die Leiche gestoßen, die nackt am Heizungsrohr hing. Der junge Rosenberg hat erneut einen schweren Schock erlitten.“
Die Fleischverkäuferin seufzte.
„Ja, manche Menschen trifft's hart.“
Die letzte Silbe von Mrs. Underwoods treffender Aussage wurde durch einen kräftigen Hieb mit dem Fleischermesser unterstützt, mit dem sie gerade ein Stück Lunge bearbeitete.
*
Tom war zu Hause.
Er spürte, dass er sich zum letzten Mal in diesen Räumlichkeiten aufhielt, also nahm er Abschied.
Abschied von den Dingen, die er im Verlauf seines bisher unspektakulären Lebens angesammelt hatte.
Abschied vom Blick durch das Fenster in den geradezu englisch anmutenden Garten der Suttons .
Abschied von der einsamen Trauerweide im eigenen Garten.
Abschied von Jo, die noch immer ihr mittlerweile kaltes Bad nahm.
Abschied von allem. Er
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