Gorian 2
gewesen.«
»Damit hättet Ihr gegen die Regeln des Ordens verstoßen.«
»In dieser außergewöhnlichen Lage hätte ich das akzeptiert.«
»Ich gehe lieber den direkten Weg, Meister Thondaril. Ich will mich nicht verstellen. Ich will niemandem mit Magie meinen Willen aufzwingen und damit die Ordensregeln brechen. Und den Caladran wäre bestimmt auch aufgefallen, dass der Greifenreiter, der uns begleitet, dies nicht freiwillig tut, sondern weil er beeinflusst wird.«
Thondaril erhob sich. »Deine Haltung ist ehrenwert. Und der direkte Weg, wie du es ausgedrückt hast, hat sicher manches für sich. Aber hin und wieder ist es eben einfach nicht möglich, sich an alle Regeln zu halten, weil wir dadurch zu viele Risiken eingehen würden und letztlich das gefährden, was uns wichtig ist. Deine Ehrlichkeit und Offenheit hat dich diesmal ans Ziel gebracht, sie hätte dich aber auch davon entfernen können, und das wäre in diesem Fall verhängnisvoll gewesen. Die Dinge sind nicht immer schwarz oder weiß, sondern zumeist grau. Aber das wirst du hoffentlich noch lernen.«
Nach seiner Rede wandte sich Thondaril dem kleinen Tisch in der Zelle zu, auf dem außer einem aufgeschlagenen Exemplar der Ordens-Axiome noch eine kleine Ledertasche lag, die der Meister des Schwertes und der Magie ansonsten stets an seinem Gürtel trug.
Er griff in die Tasche, und Gorian erkannte sofort, was er da hervorholte. Es war der Ring eines Meisters, wie Thondaril selbst ihn zweifach am Finger trug.
»Der Orden ist ja derzeit damit beschäftigt, sich zu rekonstituieren«, sagte Thondaril mit ruhiger Stimme. »Unser Hochmeister entpuppte sich als Verräter, und von dem Verlust der Ordensburg werden wir uns lange nicht erholen. Aber inzwischen gibt es ein neu gebildetes Entscheidungskonvent, dem auch ich angehöre, und mittels Handlichtlesen ist es uns möglich, auch über große Entfernungen
hinweg miteinander zu kommunizieren.« Thondaril hielt Gorian den Meisterring hin. »Den Mitgliedern des Entscheidungskonvents wurde die Autorität verliehen, aus eigenem Ermessen Meisterringe an ihre Schüler zu vergeben. Und ich bin der Auffassung, dass du dir deinen verdient hast. Mag sein, dass dir noch vieles fehlt, aber das wird dich die Zeit lehren. Dass es dir gelang, die Schwerter deines Vaters zurückzugewinnen, ist meines Erachtens Beweis genug für deine Fähigkeiten, daher ernenne ich dich hiermit zum Schwertmeister des Ordens der Alten Kraft, sofern du bei der Allmacht des Verborgenen Gottes schwörst, dein Talent und dein Wissen niemals im Geist des Bösen anzuwenden, die Axiome des Ordens zu achten und zur Verteidigung des Heiligen Reichs beizutragen.«
Gorian war mehr als nur überrascht. Wie lange hatte er davon geträumt. Immer wieder hatte er sich vorgestellt, wie es sein würde, wenn er eines Tages zum Schwertmeister ernannt wurde.
Nun war es so weit – allerdings unter Umständen, die ganz anders waren, als er es sich gedacht hatte.
»Ich schwöre es!«, sagte er eilig. »Der Verborgene Gott sei mein Helfer, sofern ich mit meinem Talent der seine bin!«
Seine Worte entsprachen der traditionellen Antwortformel. Sie stammte noch aus der Zeit des legendären Ersten Meisters, als dieser die ersten Gefolgsleute mit der Meisterwürde versah.
Thondaril steckte Gorian den Ring an die Hand. »Du wirst dir gewiss einen anderen Rahmen für diese Zeremonie vorgestellt haben. Den kann ich dir angesichts unserer Lage leider nicht bieten.«
»Das schmälert nicht die Bedeutung, die dieser Augenblick für mich hat«, erklärte Gorian.
»Was die anderen Meistertitel angeht, deren Erreichen du dir ja in aller Ernsthaftigkeit vorgenommen hattest …«
»Ich werde mich gedulden«, versprach Gorian.
»Das wirst du müssen«, nickte Thondaril. »Und ich möchte dich diesbezüglich auch noch einmal ermahnen, um dich von gefährlichen Selbstversuchen abzuhalten, insbesondere hinsichtlich der Schattenpfadgängerei. Der Angriff, dem du im Gemach der Königstochter ausgesetzt warst, hat dich in die Zwischenwelt der Schattenpfade gerissen, und du kannst von Glück sagen, sie ohne Schaden an Geist und Körper wieder verlassen zu haben.«
»Ich habe die Kraft des Totenalbs in mich aufgenommen«, erklärte Gorian. »So habe ich ihn getötet – durch Entziehung seiner Kraft. Es war genau das Gegenteil von dem, was man einen Schwertschüler lehrt.«
»Dass du diese Kraft aufgenommen hast, rettete vermutlich dein Leben, denn jemand, der nicht genug
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