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Gotland: Kriminalroman (German Edition)

Gotland: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Gotland: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Håkan Östlundh
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hatte ein schlechtes Gewissen bekommen, weil sie ihrer Mutter etwas wegnahm, was ihr viel bedeutete. Erst seit dem Umzug war ihr klar, dass ihre Mutter eigentlich nie Zeit für sie hatte.
    Der Scheibenwischermotor surrte, die Reifen drehten sich zischend auf der nassen Fahrbahn. Wohin fuhr sie? Sie wusste es nicht.
    Sie spürte, dass sie ein Ziel hatte, aber sie sah es nicht vor sich. Nachdem sie fast eine Stunde lang herumgeirrt war, bog sie in die Einfahrt vor ihrem eigenen Haus ein. Stockdunkel und verlassen.
    Sie schloss die Tür auf, warf den Mantel auf einen Küchenstuhl und setzte sich. Mit leerem Blick starrte sie das schmutzige Geschirr im Spülbecken an.
    Die entscheidende Frage war, ob die Blutung zwischen Schädelknochen und Gehirn einen Sauerstoffmangel verursacht hatte. Die Computertomografie sah gut aus, verriet aber nicht alles, hatte die kleine Ärztin mit zusammengekniffenen Augen gesagt. Allmählich hatte Ninni begriffen, dass das menschliche Gehirn auch Medizinern Rätsel aufgab. Man musste nun abwarten. Es sprach nichts gegen eine vollständige Genesung, garantieren konnten die Ärzte nichts. Ninni musste sich jedenfalls auf eine lange Rekonvaleszenz einstellen, mindestens sechs Monate, eventuell sogar ein Jahr oder noch länger.
    Vielleicht brauchte sie einfach eine Pause von ihrem Leben.
    Reglos und stumm saß sie da, während die Sekunden verstrichen. Allein in dem leeren Haus, stand sie außerhalb ihres Lebens. Zumindest konnte sie sich das einen kurzen Moment einreden.
    Plötzlich wusste sie, was sie gesucht hatte. Das unbestimmte, aber zermürbende Gefühl im Bauch trieb sie zu einem Platz, der nur ihr gehörte. Sie sah die Felsen bei der Hafenmole auf der Insel im Stockholmer Schärengarten vor sich, wo ihre Eltern ein Sommerhaus hatten. Auf diesen Felsen hatte sie seit ihrem siebten Lebensjahr jeden Sommer gesessen. Bis sie nach Gotland gezogen waren. Oder vielleicht die großen Felsen bei Hellas in Nacka, von denen aus sie ins Wasser gesprungen war oder als Kind mit Jocke ihre Schlittschuhausflüge gestartet hatte. Sie wollte von massivem und vertrautem Urgestein aus aufs Wasser gucken und nicht von einer beschissenen Kalksteinplatte, die zerbröselte, wenn man sie nur ansah.
    Mit einem Ruck stand sie auf, riss den erstbesten Gegenstand an sich, den sie zu fassen bekam – eine Pfeffermühle aus gebürstetem Stahl, die sie von entfernten Verwandten zum vierzigsten Geburtstag bekommen hatte –, und knallte ihn mit voller Wucht an den Küchenschrank.
    »Zur Hölle mit dir!«, brüllte sie.
    Die Pfeffermühle hinterließ eine hässliche Delle im Küchenschrank, und der kleine Kunststoffbehälter, in dem die Pfefferkörner so benutzerfreundlich aufbewahrt wurden, bekam einen Riss und verstreute seinen Inhalt prasselnd auf dem Fußboden. Als würde nach dem Regen ein Windstoß das Wasser aus einer Baumkrone schütteln.
    »Fahr zur Hölle!«, schrie sie noch einmal und schmiss einen Untersetzer und den Zeitungsstapel hinterher. Wehe, du kratzt ab und lässt mich im Stich! Und werd bloß kein Spasti, den ich bis an mein Lebensende füttern muss!
    Mit angriffslustig geballten Fäusten blieb sie stehen, als wollte sie sich in eine Schlacht mit dem Leben selbst stürzen.
    Es durfte einfach nicht so kommen. Sie war halb gegen ihren Willen auf diese Insel verschleppt worden. Trotz der vielen Nachteile hatte sie sich einigermaßen eingelebt und fühlte sich dank ihrer Arbeit und der Kollegen in der Schule sogar wohl. Als Lehrer fand man schnell seinen Platz, bekam Kontakte und Anerkennung. Aber wegen der Schule waren sie so weit draußen gelandet, fünfzig Kilometer von der Stadt entfernt.
    Was machte sie hier eigentlich?
    War es ihr Schicksal, mit einem Mann, der sich nicht mehr selbst den Hintern abwischen konnte, in einem Kalksteinhaus am Arsch der Welt zu versauern?
     

11
     
    Die Oktobersonne war den Himmel ein Stück hinaufgeklettert. Das Wetter war mild und klar.
    »Herrlicher Tag«, sagte Gustav im Auto. »Zuerst zwei zerhackte Menschen und dann ein durchgeknallter Großvater.«
    »Mal sehen, wie nett es bei der Exfrau wird.« Fredrik steuerte das südliche Zentrum an.
    Er hatte Hunger, weil er wie immer zu wenig gefrühstückt hatte. »Nach Inger Traneus sollten wir uns ein schnelles Mittagessen gönnen.«
    Gustav nickte.
    »Was meinst du«, fragte Fredrik, »hat Rune Traneus recht?«
    »Wenn er keine Schraube locker hat, muss er einen guten Grund gehabt haben, so zu reagieren.
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