Gotland: Kriminalroman (German Edition)
übers Haar. »Manche Menschen kommen einfach nicht weiter. Nie. Sie hängen in der Vergangenheit fest.«
»Wurde Ihnen durch ein besonderes Ereignis bewusst, dass er anderweitig gebunden war, wie Sie es ausdrücken?«, fragte Fredrik.
»Das kann man so sagen. Rune hat es mir verraten. Unabsichtlich, glaube ich. So ist er. Er merkt nicht, dass er viel zu ehrlich ist. Es war an Weihnachten. Bei uns war es eine Zeit lang nicht gut gelaufen. Das kam hin und wieder vor, aber diesmal hatte es länger gedauert. Ich fragte Rune ganz direkt, was er davon halte. Warum Anders sich so verhalte. Wir hatten bei uns zu Abend gegessen. Es könnte der zweite Feiertag gewesen sein. Rune und ich saßen noch am Tisch. Zuerst nickte er, als wäre meine Frage nicht überraschend gekommen, und dann fing er an, mir ausführlich zu erklären, Anders habe schon immer zum Grübeln geneigt und …«
Inger hielt inne und blickte Fredrik starr an.
»Entschuldigen Sie, ich weiß gar nicht, warum ich Ihnen hier mit all diesen Details komme. Es geht mir nicht besonders. Das verstehen Sie vielleicht. Sie wollen das wahrscheinlich alles gar nicht hören.«
Da haben Sie recht, diese Dinge wollen wir tatsächlich nicht unbedingt wissen, dachte Fredrik, aber wer konnte schon vorhersagen, auf welch verschlungenen Pfaden man das erreichte, was man eigentlich wissen wollte?
»Erzählen Sie so, wie es für Sie am angenehmsten ist.«
»Okay.« Inger faltete wieder ihre Hände. »Wahrscheinlich ist er nie richtig über Kristina hinweggekommen. Genau das hat Rune gesagt. Zu mir, die seit zwanzig Jahren mit seinem Sohn verheiratet war! Ich begreife nicht, was er sich dabei gedacht hat. Wahrscheinlich gar nichts. Er war etwas angetrunken und machte sich so seine Gedanken. Er versank in seiner eigenen Welt. Es ist ihm einfach rausgerutscht. Dieser Trottel! Aber Rune ist immer ein Tollpatsch gewesen. Anders nicht, der ist vielleicht ein Idiot, aber kein Trottel.«
»Sie meinen, Anders hatte ein Verhältnis mit Kristina Traneus?«
»Ja, das hatte er.« Sie nahm einen tiefen Atemzug. »Aber das ist mehr als dreißig Jahre her.«
»Das ist eine lange Zeit«, sagte Fredrik.
»Ja, das ist eine wahnsinnig lange Zeit.« Ingers Gesichtsausdruck nach zu urteilen, ein fast geisteskrank langer Zeitraum.
»Was wissen Sie über dieses Verhältnis?«
»Nicht viel.« Sie sprach jetzt ruhiger. »Eigentlich gar nichts. Sie waren eine Zeit lang zusammen. Bevor sie Arvid kennenlernte.«
»Aber Anders ist nie über sie hinweggekommen, wenn ich Sie richtig verstanden habe?«
»Das ist richtig.«
»Die Cousins waren also Rivalen?«
»Rivalen … Ich weiß nicht. Das klingt so ernst. Anders wollte sie haben, Arvid hat sie gekriegt. Ich nehme an, das macht sie zu Rivalen, aber ausgesprochen wurde es nicht. Die beiden hatten ja nichts miteinander zu tun.«
»Wegen Kristina?«
»Unter anderem. Fragen Sie Rune.«
»Es gab noch andere Gründe?«
»Ja, aber davon weiß ich nichts. Fragen Sie Rune. Vielleicht bekommen Sie es aus ihm heraus. Über gewisse Dinge wird in dieser Familie nicht geredet. Aber er weiß Bescheid.«
Fredrik beschloss, nicht weiter zu insistieren. Falls nötig, würde er auf die Sache zurückkommen, nachdem er mit Rune gesprochen hatte.
»Sie haben Anders also nicht aufgrund eines konkreten Ereignisses verlassen, sondern …«
»Nein, es ist nichts passiert.«
Offenbar hatte sie die Angewohnheit zu antworten, bevor der Fragende zum Punkt gekommen war.
»Aufgrund einer Bemerkung von Rune.«
»Natürlich nicht nur deswegen. Sobald die anderen gegangen waren, hab ich Anders mit der Sache konfrontiert. Und er sagte mir zum ersten Mal die Wahrheit. Ich wusste ja von Kristina, ich hatte ihn sogar mehrmals nach ihr gefragt, aber er hatte immer abgewinkt. Diesmal sagte er die Wahrheit. Oder eigentlich wurde er diesmal auch nicht besonders deutlich, aber er sprach immerhin darüber. Was er sagte, reichte aus. Plötzlich passte alles zusammen. Danach blieb mir nur noch eines, ich musste gehen. Die Kinder waren erwachsen und wohnten nicht mehr zu Hause, in praktischer Hinsicht war es also kein Problem. Aber es ist sehr schwer nach über zwanzig Jahren. Ich war wütend, traurig und …«
Sie hielt mitten im Satz inne und sah zuerst Fredrik, dann Gustav an.
»Wie auch immer. War das ungefähr das, was Sie wissen wollten?«
»Ja, wahrscheinlich«, sagte Fredrik. »Ich verstehe, dass es nicht leicht für Sie ist, darüber zu reden, aber eine Frage muss
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