Gotland: Kriminalroman (German Edition)
müssen wir Polizeischutz anordnen. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Verwandten der Mordopfer, wahrscheinlich von Anders Traneus.«
»Ja«, sagte Göran. »Wir sollten den Telefonanschluss von Rickard Traneus überprüfen. Hoffen wir, dass dieser Irre nicht auch ein Prepaidhandy benutzt hat. Okay, das war alles. Weiß jeder, was er zu tun hat? Fredrik und Gustav übernehmen die Exfrau und den Vater von Anders Traneus. Falls ihr keine anderen Anweisungen bekommt, macht ihr mit den Kindern weiter. Sara, du vernimmst Rickard Traneus. Überprüf diesen Anruf. Ove, du siehst dir den engsten Kreis von Kristina Traneus an. Wenn es um Untreue geht, gibt es immer irgendeine Freundin, die eingeweiht ist. Ich vernehme Elin Traneus, und dann werde ich sehen, was ich aus Arvid Traneus’ Auftraggebern in Japan herausbekomme. Da das Unternehmen teilweise in schwedischer Hand ist, sollte es möglich sein, mit denen zu kommunizieren.«
»Eine Sache noch«, sagte Eva, als bereits alle aufgestanden waren. »Ich habe die Tagebücher von Kristina Traneus gefunden. Keine Ahnung, wie viel sie hergeben. Zwölf Hefte, eng beschriebene Seiten in ziemlich unleserlicher Schrift. Ich habe keine Zeit, die Schwarten durchzuackern, aber vielleicht könnt ihr sie untereinander aufteilen.«
Niemand war begeistert.
Sie hatten nicht damit gerechnet, Inger Traneus im Büro zu erreichen, doch da war sie. Sie überließen ihr die Entscheidung, ob sie dort oder auf dem Revier verhört werden wollte, und sie entschied sich für die Dienststelle. Sie boten ihr an, sie abzuholen, aber sie sagte, sie komme zu Fuß. Es war nicht weit von Söderport.
Als Fredrik Inger unten an der Rezeption abholte, machte sie auf ihn einen unveränderten Eindruck. Der gleiche Tonfall, die gleiche Mimik und Körperhaltung. Der Tod des Exmannes schien keine Spuren bei ihr hinterlassen zu haben. Zumindest nicht äußerlich.
Da die Vernehmungszimmer im Erdgeschoss belegt waren, gingen sie mit ihr in den Videoraum der Kripo.
»Hier verhören wir Kinder«, erklärte Gustav die Teddybären, die auf einem kleinen Bord saßen.
Inger Traneus lächelte kurz, bevor sie sich setzte. Sie zog ihren strengen Pferdeschwanz straff und strich sich mit zwei Fingern über den Haaransatz. Fredrik und Gustav setzten sich ebenfalls.
»Was hatten Sie und Anders seit der Scheidung für ein Verhältnis?«, begann Fredrik.
»Ein gutes«, antwortete sie zögerlich. Eilig fügte sie hinzu: »In letzter Zeit. Die Scheidung ist ja schon fünf Jahre her.«
»Und vor fünf Jahren war es anders?«
Gequält sah sie Fredrik an. Sie wollte etwas sagen, ihn vielleicht bitten, nicht ausgerechnet dieses Thema zur Sprache zu bringen, überlegte es sich dann aber anders. Vielleicht hatte sie eingesehen, dass diese Frage nicht verhandelbar war.
»Ich habe ihn verlassen«, stellte sie nüchtern fest. »Wir hatten vorher schon öfter Probleme in unserer Ehe, wie man das üblicherweise zusammenfasst. Aber ich hatte nie darüber nachgedacht, ihn zu verlassen, bis ich es faktisch tat. Als ich begriff, dass er mich nie geliebt hat, war es leicht. Oder besser gesagt, es war furchtbar, aber es war nicht schwer auszuziehen. Über zwanzig Jahre. Ein halbes Erwachsenenleben mit jemandem, der einen nicht liebt. Das ist doch eine Katastrophe.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Das war es, was ich gestern sagen wollte, aber ich habe mich wohl etwas unzusammenhängend ausgedrückt.«
Sie atmete durch die Nase ein und seufzte leicht. Fredrik wartete schweigend. Er versuchte, sich auf Inger zu konzentrieren und nicht an seine eigenen Probleme zu denken. Ihre Worte gingen ihm durch Mark und Bein. Nicht nur, weil er sich vorstellen konnte, wie sich unter ihr ein Abgrund aufgetan hatte, wie zwanzig Jahre plötzlich ohne Bedeutung gewesen waren, sondern auch, weil dieser absolute Anspruch auf Nähe, ja fast auf Verschmelzung, etwas Tragisches an sich hatte. Blieb das überhaupt jemandem erspart? Wer steht nicht irgendwann mal am Abgrund und muss einsehen, dass ein großer Teil seines Lebens vergangen ist und nicht mehr viel Zeit für neue Versuche bleibt?
»Anders mochte mich. Es war nicht so, dass ich ihm nichts bedeutet hätte. Er hat mich auch nicht schlecht behandelt, aber er war anderweitig gebunden.«
»Meinen Sie, er war untreu?« Fredrik kam sich wie ein Trampel vor.
Wieder schüttelte Inger den Kopf.
»Nein. Das war er sicher nicht. So sicher, wie man eben sein kann.« Sie strich sich mit der rechten Hand
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