Gottes geheime Schöpfung: Thriller (German Edition)
Ohr an die Tür. Nichts.
Er klopfte.
Ein paar Sekunden lang herrschte nur Stille.
Keine schlurfenden Schritte.
Die Tür öffnete sich nicht.
Paul klopfte erneut, lauter diesmal.
Wieder nichts.
Er drehte sich um, wollte schon gehen, aber in dem schwachen Licht einer Straßenlaterne bemerkte er einen Fußabdruck im unteren Drittel der Tür. Dann fiel ihm auf, dass die Türfassung ein bisschen zersplittert war, als hätte jemand die Tür geschlossen und jemand anders sie eingetreten.
Paul legte die Hand auf den Knopf.
Der Türknauf ließ sich nicht drehen, aber die Tür schwang nach innen. Das Schloss war aufgebrochen.
Er stieß die Tür auf. Sie gab ein schwaches Geräusch von sich, als sie in dem Türstopper einrastete.
Im Inneren des Hauses herrschte absolute Dunkelheit.
»Charles!«, rief er, während er in die Diele trat.
Ihm antwortete nur Schweigen.
»Charles, ich bin es, Paul! Ihre Tür war nicht verschlossen!«
Er tastete mit der Hand über die Wand, suchte nach einem Lichtschalter. Er fand einen, drückte darauf, und das Wohnzimmer erstrahlte in gleißender Helligkeit. Er ging weiter durch die Wohnung, aber nichts wirkte auffällig. Nichts war ungewöhnlich.
»Charles, geht es Ihnen gut? Ich bin nur gekommen, um nach Ihnen zu sehen.«
Die Bücher standen ordentlich in den Regalen. Das Zimmer war sauber und aufgeräumt.
Vielleicht war Charles einfach nur ausgegangen.
Ein nächtlicher Spaziergang. Oder ein Ausflug ins Kino.
Aber natürlich fühlten sich all diese Vermutungen falsch an. Es war einundzwanzig Uhr. Paul hätte seine gesamten Ersparnisse darauf gewettet, dass Charles seit zehn Jahren keinen Film mehr gesehen hatte. Und ein nächtlicher Spaziergang konnte gefährlich sein. So etwas hätte Charles niemals gemacht.
Allerdings war sein Gespräch mit Paul die eigentliche Gefahr gewesen.
In der Küche lagen noch die Zeichnungen vom Abend. Die Vögel. Und erst hier bemerkte Paul die ersten Anzeichen von etwas Seltsamem. Die meisten Zeichnungen lagen auf dem Tisch gestapelt, genau wie bei seinem Besuch, aber ein paar waren zu Boden gefallen. Und mitten auf dem Linoleum lag eine große, zerrissene Zeichnung. Paul bückte sich und hob sie auf. Es war nur ein halber Vogel … Der Riss wirkte wie eine zerfetzte Wunde auf dem Oberkörper des Vogels. Die obere Hälfte fehlte. Paul sah sich in der Küche um, konnte jedoch den fehlenden Teil der Zeichnung nicht finden.
Er trat in den Flur, ging zu den Schlafzimmern. »Charles!«, rief er, obwohl er die Hoffnung aufgegeben hatte, eine Antwort zu erhalten. Jetzt betete er nur noch darum, dass Charles nicht zuhause war. Er stieß die erste Tür auf. Das Schlafzimmer war sauber und ordentlich, das Bett gemacht.
Paul warf einen kurzen Blick in das Badezimmer, das leer war. Dann ging er zum zweiten Schlafzimmer. Es war die letzte Tür. Er drehte den Knopf und stieß die Tür auf. Dann schaltete er das Licht an.
Und schaltete es wieder aus.
Er schloss sein Auge. Atmete tief durch und versuchte, den Anblick zu vergessen.
Das zweite Schlafzimmer war als eine Art Lagerraum für Kunst benutzt worden.
Charles lag auf dem Bett.
Paul holte tief Luft und schaltete das Licht wieder an.
Einer von Charles’ Armen war unter seinem Körper verdreht. Der andere ging nach unten, deutete auf den Boden.
Sein Gesicht war praktisch nicht mehr zu erkennen. Paul wusste nur, dass es sich um Charles handelte, weil er seinen Pullover, seine dünnen Gliedmaßen und sein lockiges blondes Haar erkannte. Paul trat ins Zimmer, näher an das Bett. Charles’ Augen waren halb geschlossen und blutverkrustet. Sein Schädel war auf einer Seite eingeschlagen worden. Seine Kehle war ein blutiges Werk der Zerstörung. Seine Haut war aufgerissen und leuchtete hell von frischem Blut, das noch nicht einmal geronnen war. In seinem Mund steckte zusammengeknülltes Papier als Knebel. Paul wusste, worum es sich handelte, auch ohne es zu untersuchen. Es war die Hälfte dieser Vogelzeichnung. Er war daran erstickt.
Ein feiner Sprühnebel aus Blut überzog die blaue Tapete. Ein verbeulter Aktenschrank lag auf der Seite in der Ecke.
In diesem Moment zog sich Charles’ Kehle zusammen, und Blut quoll heraus. Luft blubberte aus der klaffenden Wunde.
Paul sank auf die Knie, als die Kehle erneut reagierte, diesmal Luft einsog und in sich selbst zusammenfiel. Es gurgelte grauenvoll, als das Blut in der Lunge rasselte.
Zuerst begriff Paul nicht, was er da sah. Dann wurde es ihm klar:
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