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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Flasche war zu schwer und zu kalt, so kalt wie Julikas Haut. Jetzt spürte er die Haut unter ihrem gelben Pullover – der war nicht gelb! -, und die Haut war auch nicht kalt, sie war… sie war normal, der Bauch, ihr Bauch, in dem… in dem… Er hatte draufgeschlagen. Nein! Sie hatte draufgeschlagen! Sie hatte sich selbst geschlagen! Er war sich nicht sicher. Alles, was er sah, war seine Hand, und die schlug und patschte auf die Haut unter dem Pullover. Nein! Sie hatte keinen Pullover an. Sie war halb nackt. Sie hatte einen schwarzen BH an. Und die Haut drum herum war weiß. Falsch, das war nicht die Wahrheit…!
    »Lüge!«, sagte Rico laut. Steffen drehte den Kopf zu ihm.
    »Was?«, sagte Robocop.
    Rico schaffte es, die Flasche zu heben. Er führte sie zum Mund, und als seine Lippen den Flaschenrand berührten, ekelte er sich vor dem süßlichen Geruch, vor dem Alkohol, vor dem Anblick der Kuchentheke bei den Stufen zum hinteren Teil des Lokals. Steffen stützte sich auf der Musikbox ab. Wieso war Juri nicht da? Robocop behauptete, Juri habe noch in der Werkstatt zu tun, das war doch Unsinn, um diese Zeit!
    »Noch ein Kaltgetränk?«
    Rico nickte. Julika lag vor ihm, vor seinen Schuhen, auf seinen Schuhen, ihre Wange schräg auf der Schuhspitze, die Beine ausgestreckt, viel zu lange Beine. Das Mädchen, das da lag, war viel größer als Julika, und doch war sie es, viel größer und älter. Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen, ihre Haare verdeckten es. Er sah, dass die Haare schmutzig waren, vom Boden, von den Kippen und den Schlieren aus Regen und Straßendreck.
    »Bist du krank?«, fragte der Wirt.
    »Nein«, sagte Rico.
    »Noch eins?«, schrie der Wirt.
    An der Musikbox hob Steffen den Arm. Wie auf ein Zeichen ging Rico zu ihm. Steffen hatte gerade den Flaschenhals in den Mund gesteckt und hielt ihn mit den Zähnen fest.
    »Was macht Juri so lang in der Werkstatt?«, fragte Rico. Er wollte nicht mehr an Julika denken. Er wollte, dass das Gedenke aufhörte, das marterte ihn.
    Seit Julika aufgetaucht war, ging es ihm so, vorher hatte er ein normales Leben geführt, und das wollte er zurück. Alles sollte sein wie früher. Die Zukunft kam von selber und dann war sie da und dann war sie vorbei und eine neue Zukunft kam. Das war das System. So musste es sein. Gut, dass er hier war, das war der richtige Ort, um wieder normal zu werden. Morgen würde er Julika wegschicken, und das Leben ging weiter wie bisher, und wenn sie beim Arzt gewesen war, würde auch ihr Leben weitergehen wie bisher.
    »Prost«, sagte er und hob die Flasche, die Robocop ihm in die Hand gedrückt hatte. Steffen reagierte nicht. Seine Flasche stand wieder auf der verstaubten Glasabdeckung, und Rico stieß mit der seinen dagegen und trank.
    »Der räumt auf«, sagte Steffen in den Gesang der Hasstöchter hinein, die Männer mit röhrenden Stimmen waren. »Für immer räumt der auf.«
    »Was?«, sagte Rico laut. Die Musik klang bösartig in seinem Kopf.
    »Sein Chef hat sich überlegt, Juri den Laden doch nicht zu übergeben«, brüllte Steffen, den Blick starr auf die Liste der Songtitel gerichtet. »Der war sauer, dass Juri nach Spanien will. Außerdem ist die Polizei bei ihm aufgetaucht, wegen der Geschichte mit dem Schiff, Scheiß drauf! Juri braucht den Typ nicht, er ist Meister, er kriegt einen neuen Job. Scheißtyp! Ich hab Juri vorgeschlagen, ich fackel dem Arsch die Werkstatt ab und seine Wohnung gleich mit. Ich mach das! Man muss handeln, sonst scheißt dich jeder voll!«
    Sein Kopf kippte nach hinten. Rico hörte das Klacken der Zähne auf dem Glas und dann das Glucksen in Steffens Hals.
    »Das kann der doch nicht machen!«, sagte Rico.
    »Bist du blöde?«, brüllte Steffen, nachdem er die Flasche hingestellt und gerülpst hatte. »Mich haben sie auch rausgeschmissen, hast du das vergessen?«
    »Wieso denn?«, sagte Rico. »Bist du nicht mehr bei Karmann?«
    »Ja, ich bin bei Karmann! Aber nicht als Maurer! Sondern als Hilfsarbeiter! Ich bin Maurer von Beruf, nicht Hilfsarbeiter! Ich bin kein Polacke oder so ein stinkender Rumi, die hier die Jobs machen für einen scheißniedrigen Lohn!«
    »Hauptsache, du hast eine Arbeit.«
    Steffen schlug ihm auf die Brust. Rico holte noch Luft, so überraschend war der Schlag für ihn gekommen, da traf ihn die Faust seines Freundes ein zweites Mal. »Das ist eben nicht die Hauptsache! Weil, wenn ich ein Asylant bin, krieg ich mehr Geld, als wenn ich einen Job als Hilfsarbeiter hab. Denen schieben

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