Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)
gesagt wird, »daß alle Brüder tapfer und alle Schwestern tugendhaft gewesen wären.«
In dem Kreuzflügel, dem Dichter-Winkel gegenüber, steht ein Denkmal, welches zu den berühmtesten Werken der neuern Kunst gehört, was mir aber eher gräßlich als erhaben zu sein scheint. Es ist das Grabmal der Mrs. Nightingale, von Roubillac. Der Untersatz des Denkmals ist so dargestellt, als öffneten sich seine marmornen Thüren, und ein bekleidetes Geripp tritt heraus. Das Gewand fällt von seinen fleischlosen Knochen, wie es seinen Pfeil nach seinem Opfer schleudert. Sie sinkt in ihres erschreckten Gatten Arme, welcher mit vergeblicher und fieberhafter Anstrengung den Streich abwenden zu wollen scheint. Das Ganze ist mit furchtbarer Wahrheit und Lebendigkeit ausgeführt; wir glauben beinahe das kreischende Triumphgeschrei auf den geöffneten Kinnbacken des Gespenstes zu hören. – Warum sollen wir aber den Tod mit unnützen Schrecken zu umgeben, und Gräßlichkeiten um das Grab Derer, die wir lieben, zu verbreiten suchen? Das Grab sollte mit allem umgeben werden, was Zärtlichkeit und Verehrung für die Todten einflößen kann; oder was die Ueberlebenden für die Tugend gewinnen mag. Es ist ein Ort, nicht des Elends und Abscheus, sondern des Schmerzes und des Nachdenkens.
Während man in diesen düsteren Gewölben und schweigenden Kreuzgängen umherwandert, und die Andenken der Todten genauer betrachtet, erreicht zuweilen der Ton des geschäftigen Lebens von Außen das Ohr; das Rollen eines vorüberfahrenden Wagens; das Gemurmel der Menge; oder vielleicht das leichtsinnige Lachen des Vergnügens. Der Gegensatz ist, mit der todtengleichen Stille umher zusammengehalten, auffallend, und es macht einen eigenthümlichen Eindruck auf das Gefühl, wenn man die Wogen des thätigen Lebens in den Mauern des Grabes dahinströmen und daran anschlagen hört.
Ich fuhr fort auf diese Weise von Grab zu Grabe, und von Capelle zu Capelle zu gehen. Der Tag nahm allmählig ab; die fernen Tritte der um die Abtei Wandernden wurden weniger und weniger häufig; die sanft tönende Glocke rief zum Abendgebet, und ich sah in der Entfernung die Chorknaben in ihren weißen Chorhemden, durch den Kreuzgang ziehen und den Chor betreten. Ich stand vor dem Eingange zu Heinrich des Siebenten Capelle. Eine Treppe führte, unter einem tiefen und düstern, aber prächtigen Bogen, hinauf. Große metallene Thore, reich verziert und schön gearbeitet, drehen sich schwerfällig auf ihren Angeln, als ob sie stolz es wehren wollten, daß die Füße gewöhnlicher Sterblichen dieses prunkvollste aller Gräber beträten.
Beim Eintritt wird das Auge von der Pracht der Architektur und der kunstvollen Schönheit der ins Einzelne gehenden Bildhauerarbeit geblendet. Selbst die Mauern sind zu fortlaufenden Zierrathen geworden, mit Bildhauerarbeit ausgelegt, und Nischen darin ausgehauen, in welchen Bildsäulen von Heiligen und Märtyrern stehen. Der Stein scheint, durch die geschickte Arbeit des Meißels, seiner ganzen Schwere und Dichtigkeit beraubt zu sein, wie durch Zauberkraft frei da zu hangen, und die reich verzierte Decke mit der wunderbaren Regelmäßigkeit und luftigen Sicherheit eines Spinngewebes ausgeführt zu sein.
Die Seiten der Capelle entlang sind die hohen Stühle der Ritter vom Bathorden, reich auf Eichenholz, obgleich mit den grotesken Verzierungen der gothischen Architektur, geschnitzt. Oben auf den Stühlen sind die Helme und Helmzierden der Ritter, mit ihren Schärpen und Schwertern befestigt, und über diesen hängen ihre Banner mit den Wappen in Farben darin, wobei Gold, Purpur und Hochroth gegen die kalte graue Bildhauerarbeit der Decke sonderbar absticht. Mitten in diesem großen Mausoleum steht das Grab seines Stifters, sein Bild mit dem seiner Gemahlin, auf einem prachtvollen Grabe ausgestreckt und das Ganze von einem herrlich gearbeiteten metallenen Gitter umgeben.
Es ist eine traurige Starrheit in dieser Pracht; dieser seltsamen Mischung von Gräbern und Siegeszeichen, diesen Sinnbildern des lebenden und aufstrebenden Ehrgeizes, dicht neben Denkmalen, welche den Staub und die Vergessenheit andeuten, worin Alles früher oder später sich auflösen muß. Nichts flößt dem Geist ein tieferes Gefühl der Verlassenheit ein, als wenn man den schweigenden und verlassenen Schauplatz früheren Lebens und Prunkes betritt. Indem ich rundum die leeren Stühle der Ritter und ihrer Waffenträger, und die Reihen der bestaubten, doch prächtigen Banner
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