Grab im Wald
abgewaschen. Die Dusche hatte so eine Brause an einem Schlauch. Ich musste mich richtig abschrubben.«
»Und dann?«
»Sie haben mir meine Sachen weggenommen. Sie haben gesagt, dass sie sie verbrennen wollen. Dann haben sie mir ein T-Shirt und Shorts gegeben, die ich anziehen sollte.«
»Und was ist danach passiert?«
»Jerry hat mich zur Bushaltestelle gebracht.«
»Hat Mr Flynn auf dem Weg mit Ihnen gesprochen?«
»Nein.«
»Kein Wort?«
»Kein Wort.«
»Haben Sie etwas zu ihm gesagt?«
»Nein.«
Wieder gab ich mich überrascht. »Sie haben ihm nicht erzählt, dass Sie vergewaltigt worden sind?«
Zum ersten Mal lächelte sie. »Glauben Sie, er hat das nicht gewusst?«
Auch die Antwort ließ ich einfach stehen. Ich wollte das Tempo wieder anziehen.
»Haben Sie sich einen Anwalt genommen, Chamique?«
»Irgendwie schon.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich hab ihn nicht gesucht. Er hat sich bei mir gemeldet.«
»Wie heißt er?«
»Horace Foley. Er ist nicht so hübsch angezogen wie Mr Hickory da.«
Flair lächelte.
»Haben Sie eine Schmerzensgeldklage gegen die Angeklagten erhoben?«
»Ja.«
»Warum haben Sie sie verklagt?«
»Sie sollen dafür bezahlen«, sagte sie.
»Aber geht es in diesem Prozess nicht genau darum?«, fragte ich. »Suchen wir hier nicht nach einer Möglichkeit, sie zu bestrafen?«
»Schon, aber bei der anderen Klage geht’s um Geld.«
Ich sah sie an, als verstünde ich ihre Antwort nicht. »Aber die Verteidigung wird behaupten, dass Sie diese Beschuldigungen erheben, um Geld zu erpressen. Sie werden sagen, die Schmerzensgeldklage zeigt, dass Sie sich nur für Geld interessieren.«
»Ich interessiere mich ja auch für Geld«, sagte Chamique. »Ich hab auch nie was anderes behauptet.«
Ich wartete.
»Interessieren Sie sich nicht für Geld, Mr Copeland?«
»Doch, das tue ich«, sagte ich.
»Und?«
»Und trotzdem«, sagte ich, »wird die Verteidigung unterstellen, dass das ein Motiv ist, eine Lüge zu erzählen.«
»Dagegen kann ich nichts machen«, sagte sie. »Wissen Sie, wenn ich sage, dass ich mich nicht für Geld interessiere, dann wäre das eine Lüge.« Sie sah die Geschworenen an. »Wenn ich jetzt sage, dass Geld mir nichts bedeutet, würden Sie mir das dann glauben? Natürlich nicht. Ich würde Ihnen genauso wenig glauben, wenn Sie sagen, dass Sie sich nicht für Geld interessieren. Ich hab mich schon für Geld interessiert, bevor die beiden mich vergewaltigt haben. Aber ich lüge nicht. Die haben mich vergewaltigt. Und ich will, dass sie dafür ins Gefängnis kommen. Und wenn ich dabei noch ein bisschen Geld von ihnen kriegen kann, wieso nicht? Ich kann’s brauchen.«
Ich trat zurück. Aufrichtigkeit – echte Aufrichtigkeit – ist einfach durch nichts zu ersetzen.
»Ich habe keine weiteren Fragen«, sagte ich.
8
Die Verhandlung wurde über Mittag unterbrochen.
Beim Mittagessen spreche ich normalerweise mit meinen Mitarbeitern über die Verhandlungsstrategie. Aber heute wollte ich das nicht. Ich wollte allein sein. Ich wollte mir die Befragung noch einmal durch den Kopf gehen lassen, überlegen, was ich vergessen hatte, und darüber nachdenken, wie Flair jetzt vorgehen würde.
Ich bestellte mir einen Cheeseburger und ein Bier bei der Kellnerin, die aussah, als wollte sie in einem dieser »Want to get away«-Werbefilme auftreten. Sie nannte mich »Schätzchen«. Ich steh darauf, wenn eine Kellnerin »Schätzchen« zu mir sagt.
In einer Verhandlung konkurrieren zwei Erzählungen um die Aufmerksamkeit der Geschworenen. Man muss seinen Protagonisten möglichst realitätsnah gestalten, ihn zu einem echten Menschen machen. Echtheit ist dabei viel wichtiger als Reinheit. Anwälte vergessen das häufig. Sie meinen, sie müssten ihre Mandanten perfekt und freundlich darstellen. Das ist falsch. Also versuchte ich nicht, die Geschichte für die Geschworenen zu glätten. Menschen können Charaktere ziemlich gut einschätzen. Sie glauben einem eher, wenn man auch seine Schwächen zeigt. Zumindest gilt das für meine Seite – die Anklage. Als Verteidiger versucht man, das Wasser einzutrüben. Flair Hickory hatte es schon deutlich zum Ausdruck gebracht: Man möchte das schöne Fräulein Berechtigte Zweifel ins Scheinwerferlicht rücken. Ich dagegen versuchte, die ganze Bühne auszuleuchten. Ich wollte Klarheit.
Die Kellnerin kam zurück und sagte: »Hier, Schätzchen«, als sie den Burger vor mich stellte. Ich sah ihn an. Er war so fettig, dass ich fast einen
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