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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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ins Ohr flüsterte.
    Sam grinste. »Gut gesehen. Ich glaube nicht, dass er wirklich betrunken ist – jedenfalls nicht betrunken genug, um redselig zu werden, leider –, aber er hat eindeutig eine Fahne. Wenn er einen Drink zur Stärkung brauchte, bevor er hierherkam, dann hat er irgendwas zu verbergen. Vielleicht nur wegen der Anrufe, aber ...«
    Andrews’ Anwalt stand auf, wischte sich die Hände an den Hosenbeinen ab und winkte nervös Richtung Scheibe. »Zweite Runde«, sagte Sam und versuchte, seine Krawatte zu richten. »Bis später, Leute. Viel Glück.«
    Cassie zielte mit ihrem Apfelrest auf den Abfalleimer in der Ecke und verfehlte. »Andrews’ Korbwurf«, sagte Sam und ging grinsend aus dem Raum.

    Wir überließen ihn seinem Schicksal, gingen nach draußen, um eine Zigarette zu rauchen. Es gibt eine kleine Brücke mit Blick auf den Haupthof, und wir lehnten uns an ihr Geländer. Die Burganlage schimmerte golden und nostalgisch im schrägen Spätnachmittagslicht. Touristen in Shorts und mit Rucksäcken spazierten vorbei, starrten hinauf zu den Zinnen; einer von ihnen machte aus irgendeinem Grund ein Foto von uns. Zwei kleine Kinder sausten über die gepflasterten Gartenwege, Arme ausgestreckt wie Flugzeugflügel.
    Cassies Laune hatte sich abrupt verändert. Ihre Überschwänglichkeit war dahin, und sie hing ihren Gedanken nach, während von der Zigarette, die vergessen zwischen ihren Fingern glimmte, Rauchkringel davontrieben. Sie hatte diese Stimmungen hin und wieder, und diesmal war ich froh darüber. Ich hatte keine Lust zu reden. Ich hatte nur den einen Gedanken, dass wir Jonathan Devlin hart zusetzen würden, mit allem, was wir hatten, und wenn er je zusammenbrechen würde, dann heute. Und ich hatte nicht die blasseste Ahnung, was ich machen würde, was passieren würde, falls es dazu kam.
    Plötzlich hob Cassie den Kopf. Ihr Blick ging an mir vorbei, über meine Schulter. »Sieh mal«, sagte sie.
    Ich drehte mich um. Jonathan Devlin kam über den Hof, die Schultern nach vorn gezogen, die Hände tief in den Taschen seines weiten Mantels. Er hatte uns nicht gesehen. Er hielt den Kopf gesenkt, und die tiefstehende Sonne schien ihm ins Gesicht. Für ihn waren wir wohl nur verschwommene Silhouetten, umgeben von einem hellen Strahlenkranz wie die Heiligenstatuen und die Wasserspeier. Hinter ihm zuckte sein Schatten lang und schwarz über das Kopfsteinpflaster.
    Er ging direkt unter uns vorbei, und wir sahen ihm nach, wie er auf die Tür zutrottete. »Na denn«, sagte ich. Ich drückte meine Zigarette aus. »Ich glaub, wir müssen.«
    Ich stand auf und streckte Cassie eine Hand hin, um sie auf die Beine zu ziehen, aber sie rührte sich nicht. Ihre Augen waren plötzlich ernst, eindringlich fragend.
    »Was ist?«, sagte ich.
    »Du solltest die Vernehmung nicht machen.«
    Ich antwortete nicht. Ich rührte mich nicht, stand einfach nur da auf der Brücke, die Hand noch immer ausgestreckt. Nach einem Moment schüttelte sie gequält den Kopf, der Ausdruck, der mich erschreckt hatte, verschwand, und sie nahm meine Hand und ließ sich von mir hochziehen.

    Wir brachten ihn in den Vernehmungsraum. Als er die Wand sah, weiteten sich seine Augen jäh, aber er sagte nichts. »Vernehmung von Jonathan Michael Devlin durch Detective Maddox und Detective Ryan«, sagte Cassie, kramte in einer der Kisten herum und förderte eine dicke Akte zutage. »Sie sind nicht verpflichtet, irgendetwas zu sagen, es sei denn, aus freien Stücken, aber alles, was Sie sagen, wird schriftlich niedergelegt und kann gegen Sie verwendet werden. Okay?«
    »Bin ich verhaftet?«, fragte Jonathan. Er stand noch immer an der Tür. »Weswegen?«
    »Was?«, sagte ich verblüfft. »Ach so, die Rechtsbelehrung ... um Gottes willen, nein. Das ist reine Routine. Wir möchten Sie über den Stand der Ermittlungen informieren und sehen, ob Sie uns helfen können, einen Schritt weiterzukommen.«
    »Wenn Sie verhaftet wären«, sagte Cassie und warf die Akte auf den Tisch, »dann würden Sie das schon merken. Aus welchem Grund sollten wir Sie denn verhaften?«
    Jonathan zuckte die Achseln. Sie lächelte ihn an und zog einen Stuhl mit Blick auf die gruselige Wand hervor. »Setzen Sie sich.« Nach kurzem Zögern legte er seinen Mantel ab und nahm Platz.
    Ich brachte ihn auf den neusten Stand. Ich war derjenige, dem er seine Geschichte anvertraut hatte, und dieses Vertrauen war ein Sprengsatz, den ich erst im richtigen Moment zünden wollte. Vorläufig war ich

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