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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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war bis zum Frühstück mit ihr zusammen.« Er klang bemüht gelangweilt, aber seine herablassende Arroganz hatte sich in Luft aufgelöst. Er sah bockig und verlegen und pubertär aus. Ich hätte am liebsten losgelacht. Ich traute mich nicht, Cassie anzusehen.
    »Die ganze Nacht?«, fragte ich maliziös.
    »Ja.«
    »Im Garten? War das nicht ein bisschen kühl?«
    »So gegen drei sind wir reingegangen. Danach waren wir bis acht in meinem Zimmer. Um die Zeit stehen wir auf.«
    »Schön, schön, schön«, sagte ich zuckersüß. »Die wenigsten Alibis sind so vergnüglich.« Er warf mir einen giftigen Blick zu.
    »Kommen wir auf Montagnacht zurück«, sagte Cassie. »Haben Sie irgendwas Ungewöhnliches gehört oder gesehen, als Sie im Wald waren?«
    »Nein. Aber da draußen ist es dunkel – naturdunkel, nicht stadtdunkel. Keine Straßenlampen, gar nichts. Schon auf drei Meter Abstand hätte ich keinen gesehen. Und wohl auch nicht gehört, da gibt’s immer viele Geräusche.« Dunkel und Waldgeräusche: Wieder lief mir dieses Prickeln über den Rücken.
    »Das muss nicht unbedingt im Wald gewesen sein«, sagte Cassie. »Vielleicht auf dem Ausgrabungsgelände oder der Straße? War da noch irgendwer nach zirka halb elf?«
    »Moment mal«, sagte Mark plötzlich, beinahe widerwillig. »Draußen auf dem Gelände. Da war jemand.«
    Cassie und ich rührten uns nicht, aber ich spürte die Spannung zwischen uns aufflammen. Wir hatten die Hoffnung bei Mark schon fast aufgegeben und hätten nur noch sein Alibi überprüft, ihn auf eine Fragezeichenliste gesetzt und zurück zu seiner Hacke geschickt, zumindest vorläufig – während der ersten dringlichen Tage einer Ermittlung hat man immer nur Zeit für die wichtigsten Dinge –, aber jetzt hatte er wieder unsere volle Aufmerksamkeit.
    »Könnten Sie uns eine Beschreibung geben?«, fragte ich.
    Er sah mich hämisch an. »Ja. Die Person sah aus wie eine Taschenlampe. Es war nämlich dunkel.«
    »Mark«, sagte Cassie. »Von Anfang an bitte.«
    »Irgendwer mit einer Taschenlampe ist über das Gelände gegangen, von der Siedlung aus Richtung Straße. Das ist alles. Ich hab bloß den Strahl der Taschenlampe gesehen.«
    »Wann?«
    »Ich hab nicht auf die Uhr geschaut. Um eins etwa? Oder etwas früher?«
    »Überlegen Sie. Können Sie nicht doch noch mehr dazu sagen – vielleicht die Größe der Person, vom Winkel des Lichtstrahls ausgehend?«
    Er überlegte, kniff die Augen zusammen. »Nee. Das Licht war ziemlich nah am Boden, aber die Dunkelheit verzerrt leicht die Perspektive. Und die Person hat sich langsam bewegt, aber das ist normal. Sie haben ja die Ausgrabung gesehen, voller Gräben und Mauerreste.«
    »Große oder kleine Taschenlampe?«
    »Dünner Lichtstrahl, nicht sehr stark.«
    »Als Sie das Licht bemerkten«, sagte Cassie, »war es an der Mauer zur Siedlung – wo genau, an dem Stück, das am weitesten von der Straße entfernt liegt?«
    »Irgendwo da in der Ecke, ja. Ich hab gedacht, da ist einer durch das Tor gekommen oder vielleicht auch über die Mauer.« Das Tor befand sich am Ende der Straße, auf der die Devlins wohnten, nur drei Häuser weiter. Mark könnte Jonathan oder Margaret gesehen haben, auf der Suche nach einem Platz, um die Leiche abzulegen. Oder auch Katy, die durch die Dunkelheit schlich, um sich mit jemandem zu treffen.
    »Und die Person ist Richtung Straße gegangen.«
    Mark zuckte die Achseln. »Sie hat sich in diese Richtung bewegt, quer über das Ausgrabungsgelände, aber ich hab nicht gesehen, ob sie wirklich bis dahin gegangen ist. Die Bäume haben mir die Sicht versperrt.«
    »Glauben Sie, dass die Person Ihr Feuer gesehen hat?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Okay, Mark«, sagte Cassie, »das ist sehr wichtig. Haben Sie um diese Zeit ein Auto vorbeifahren sehen? Oder ein Auto, das auf der Straße gehalten hat?«
    Mark dachte eine Weile nach. »Nee«, sagte er schließlich mit Nachdruck. »Als ich ankam, spazierte ein Pärchen vorbei, aber nach elf war da nichts mehr. Die Leute hier gehen früh schlafen. Gegen Mitternacht waren in der Siedlung alle Lichter aus.«
    Falls er die Wahrheit sagte, hatte er uns gerade einen Riesengefallen getan. Sowohl der Tatort als auch der Aufbewahrungsort, an dem Katy den Dienstag über versteckt worden war, befanden sich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit in der Siedlung oder in unmittelbarer Nähe, und von jetzt an umfasste unser Kreis von Verdächtigen nicht mehr fast die gesamte irische Bevölkerung.

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