Grabeskaelte
dass Sie es finden mögen.“ Damit drehte sie sich um und verschwand durch die Tür.
Henning war beeindruckt. Gisela Mann war eine gleichermaßen resolute wie scharfsinnige Frau, die das Herz auf dem rechten Fleck hatte. Das nötigte ihm Respekt ab.
Minuten später hörte er jemanden die Treppe heraufkommen. Kurz darauf sah er sich einer schmächtigen, unscheinbaren Frau, die einen grauen Hosenanzug trug, gegenüberstehen.
„Sie wollten mit mir sprechen?“
„So ist es. Mein Name ist Lüders, Henning Lüders, ich bin Kriminalkommissar im Ruhestand.“
„Und ich bin Monika Schilling!“ Sie reichte ihm ihre zierliche Hand.
Während Henning diese schüttelte, bemerkte er: „Von Frau Mann weiß ich, dass Sie mit Cora Birkner, Pardon, Cora Glaser befreundet waren.“
Ein Schatten huschte über das schmale sommersprossige Gesicht Monikas.
„Ja das stimmt, wir waren Freundinnen.“
„Sie wissen, dass Cora sich vor noch nicht allzu langer Zeit das Leben genommen hat?“
„Ich habe es heute erst erfahren.“
„Verstehe, sagen Sie, hatten Sie nach der Schulzeit noch Kontakt mit Cora?“
„Nein, gleich nach der zehnten Klasse bin ich mit meinen Eltern nach Berlin gezogen. Wir haben uns aus den Augen verloren.“
„Was wissen Sie über Coras Verhältnis zu Kirstin Liebermann?“
„Kirstin, oh je, das war auch so eine schreckliche Tragödie! Die beiden haben viel Zeit miteinander verbracht. Mir haben meine Eltern damals verboten mich mit Kirstin abzugeben. Es hatte sich schnell herumgesprochen, was für eine sie war.“
„Was für eine war sie denn, erzählen Sie doch mal“, ermunterte Henning sie.
Monika errötete. „Kirstin ging mit jedem, der gut dafür zahlte, ins Bett. So eine war sie. Dabei hätte sie das gar nicht nötig gehabt. Ihre Eltern hatten schließlich genug Geld. Aber andererseits haben die sich auch nie um sie gekümmert. Kirstin war verwildert, konnte immer schon tun und lassen was sie wollte. Ich schätze das reizte Cora an ihr. Besonders während des letzten Schuljahres waren die beiden unzertrennlich. Bis dahin hat Cora sich nicht sonderlich für Kirstin interessiert.“
„Sie meinen es gab einen Grund für diese plötzliche Freundschaft?“ Monika zuckte die Schultern. „Möglich wärs. Cora hat darüber aber nie mit mir gesprochen.“
„Denken Sie Kirstins lockerer Lebensstil könnte Cora imponiert haben?“
„Sie meinen, dass sie mit jedem x-beliebigen Kerl ins Bett stieg?“
„Genau das.“
„Das glaube ich nicht. Cora war viel zu schüchtern. Die hätte sich niemals für Geld verkauft, so eine war sie nicht.“
„Sind Sie da ganz sicher?“
„Absolut!“
„Dann danke ich Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben, um mit mir zu sprechen. Wenn das Gespräch unter uns bleiben könnte, würden Sie mir einen großen Gefallen erweisen.“
„Kein Problem.“
Niedergeschlagen, ohne die bemerkenswerte Aussicht genossen zu haben, verließ Henning wenig später das Turmzimmer. Nachdem er abgeschlossen und die Schlüssel an der Theke hinterlegt hatte, ging er gedankenverloren die gepflasterte Gaststättenauffahrt hinunter. Das Klassentreffen hatte ihn keinen Schritt weitergebracht.
Unverrichteter Dinge wollte er sich schon auf den Nachhauseweg machen, als ihm eine Frau auffiel, die gerade dabei war, die Stadtbibliothek, die sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand, abzuschließen. Einem plötzlichen Impuls folgend, ging er auf sie zu.
„Entschuldigen Sie, wenn ich Sie anspreche. Mein Name ist Lüders. Ich bin Kriminalkommissar im Ruhestand“, stellte Henning sich vor.
Als er den skeptischen Blick der Frau bemerkte fügte er hinzu: „Ich habe nicht vor, Ihnen Ihre sicher wertvolle Zeit zu stehlen. Aber ich würde Ihnen gerne eine Frage stellen wollen. Sagt Ihnen der Name Cora Birkner zufällig etwas?“
Das offene und freundliche Gesicht der Frau überschattete sich. „Sicher doch!“, meinte sie bedauernd. „Frau Birkner gehörte schließlich zu unserer Stammkundschaft. Als ich von ihrem Selbstmord erfuhr, war ich schockiert.“
„Genau darum geht es“, hakte Henning nach. „Ich weiß zwar, dass die Bücherei schon längst geschlossen hat. Aber könnten Sie vielleicht trotzdem ein paar Minuten erübrigen, um mit mir über Frau Birkner zu sprechen? Es wäre wichtig für mich“, fügte er bittend hinzu.
Unschlüssig warf die Frau einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Also gut“, gab sie sich geschlagen. Sie schob erneut den Schlüssel
Weitere Kostenlose Bücher