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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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UHR 15
    Dach des Wrigley-Buildings
     
    Als Nächstes rief ich zu Hause an.
    »Irene? Alles in Ordnung?«
    »Alles bestens. Hab ich dich geweckt?«
    »Nein. Ich warte sowieso auf dich.«
    »Weißt du noch, wie du gesagt hast, ich soll dir Bescheid geben, wenn ich glaube, Parrish wieder zu sehen?«
    »Ja. Wo ist er?«
    Ich erzählte ihm, dass ich gerade einen mutmaßlichen Einbruch im Gebäude nebenan gemeldet hatte, und erklärte ihm rasch, weshalb ich auf dem Dach war. »Aber jetzt frage ich mich, ob ich Parrish nicht doch hätte erwähnen sollen«, gestand ich. »Ich will nicht, dass sie unvorbereitet sind, falls er es ist.«
    »Geh wieder rein und such Jerry oder Livy oder sonst jemanden, der gerade dort arbeitet. Versprich mir, dass du das tust, bis die Polizei eintrifft. Und verständige den Wachmann in der Eingangshalle.«
    Ich willigte ein und begann meinen Abstieg.
    Ich hatte gerade den zweiten Treppenschacht betreten, als ich Schritte hörte. Ich blieb stehen und lauschte.
    Unter mir hörte ich, wie sich eine Tür schloss. Das Metallgeländer vibrierte, wie es fast das ganze Gebäude tut, wenn die Druckmaschinen laufen. Das Rumoren wallt rhythmisch vom Keller nach oben, nicht laut in dieser Höhe, aber durchdringend. Ich merkte, wie meine Hand in einem anderen Rhythmus zitterte. Ich holte das Handy wieder heraus und versuchte, den Wachdienst anzurufen, wobei jedes leise Piepen der Tastatur zu dröhnen schien wie eine Blaskapelle. Ich wartete, dass der Anruf durchkam, doch nichts geschah. Ich sah aufs Display: kein Signal. Der Treppenschacht war alles andere als ideal für den Empfang.
    Ich wartete. Ich bildete mir ein, unter mir wieder ein Geräusch zu hören.
    Jerry oder Livy, sagte ich mir. Sie gehen von einem Stock zum anderen, um die Computer zu überwachen. Ich wartete.
    Als eines dieser Dreiminutenjahre vorüber war, ohne dass ich irgendwelche weiteren Laute gehört hätte, schlich ich zur nächsten Ebene hinunter und gelangte an eine Tür. Ich probierte sie – sie war abgeschlossen. Ich war frustriert, aber nicht erstaunt. Selbst mit dem Aufzug konnte man die Büros in den oberen Etagen nur erreichen, wenn man einen Spezialschlüssel besaß, und die Türen ins Treppenhaus ließen sich nur von der anderen Seite öffnen.
    Ich lauschte, und da ich immer noch keine anderen Geräusche hörte, ging ich aufs Ganze. Inzwischen völlig aufgelöst, raste ich wie eine Verrückte die Treppen hinunter. Ich bog gerade um die letzte Kurve auf dem Treppenabsatz über der Redaktion, als die Tür zur Redaktion aufflog. Ein dunkel gekleideter Mann trat heraus. Er hielt eine Pistole auf mich gerichtet.
    Ich blieb stehen, warf die Arme nach oben und versuchte etwas zu sagen. Mein Mund bewegte sich so ähnlich wie bei einem Guppy, doch es drang kein Laut heraus.
    Der Wachmann sprach als Erster. »Du lieber Gott, Kelly!«, sagte er und senkte die Pistole auf meine Kniescheiben. »Sie haben mich gerade zu Tode erschreckt.«
    »Bitte stecken Sie die Pistole weg«, sagte ich, während ich wünschte, ich könnte mich an seinen Namen erinnern. »Sie erschrecken mich immer noch zu Tode.« Musste sich gerade erst rasieren und hatte schon eine Waffe. Geoff, der Wachmann von der Tagschicht, ging auf die Achtzig zu (manche schworen, es sei schon das zweite Mal) und trug nie eine Waffe. Raten Sie mal, bei wem ich mich sicherer fühlte.
    Er steckte die Pistole in sein Schulterhalfter und zog den Gürtel hoch. »Ihr Mann hat angerufen. Er meinte, Sie hätten ihn vom Dach aus mit Ihrem Handy angerufen, aber als er versuchte, Sie zurückzurufen, hat sich niemand gemeldet. Er hat nur die Voice-Mail erreicht. Dann hat er es an Ihrem Platz probiert, ist aber wieder beim Handy gelandet.«
    »Und das ist Grund genug für einen bewaffneten Einsatz?«
    »Oh – na ja, was das angeht – kurz bevor ich mit ihm gesprochen habe, habe ich einen Funkspruch über den Scanner gehört. Sie glauben, Parrish ist im Haus nebenan.
    Ich dachte, er sei womöglich hinter Ihnen her, also habe ich mich gewappnet.«
    Dies äußerte er mit einer lässigen Selbstsicherheit, die nicht das geringste Bewusstsein dafür erkennen ließ, dass ich die Zielscheibe für ein paar Kugeln des Kalibers hätte sein können, das sich in seinem Ladestreifen befand. Jetzt lächelte er und streckte eine Hand aus, bereit, mir die Treppe hinunterzuhelfen. Ich ließ mich von ihm in die Redaktion begleiten, wo ich praktisch auf dem erstbesten Stuhl zusammenklappte.
    Er nahm sein

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