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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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zurückkehren. Wrigley hat so schon genug Angst vor Ihnen, da muss er sich nicht auch noch ausmalen, dass Sie hier ankommen wie frisch aus Apocalypse Now .«
    Er zog davon, um noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen.
    Es liegt in der Natur der Sache: Ganz egal, wie gut wir an diesem Abend gearbeitet hatten – der Prozess, eine Zeitung zusammenzustellen, würde am nächsten Morgen von Neuem beginnen.
    Trotzdem war es wesentlich aufregender gewesen, als ich es in meiner Spätschicht erwartet hätte.
    Nicht lange, nachdem sich die Redaktion geleert hatte, stieg Ben mit mir die Treppe zum höchsten Punkt des Gebäudes hinauf. »Ich habe versucht, Leonard anzurufen, damit er uns in den Aufzug schmuggelt«, sagte ich. »Aber er streift wohl irgendwo im Haus herum.«
    Ich erklärte das mit dem speziellen Schlüssel für den Aufzug. »Selbstverständlich bekommen Angestellte, die gezwungen sind, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, weil sie mit schweren Gegenständen nach dem Chef geworfen haben, diesen Schlüssel nicht.«
    »Ich kann die Treppen gehen«, erklärte er. »Das ist ein gutes Training für mich.« Es wurde eine ganze Menge Training.
    An der letzten Tür angekommen, sagte Ben: »So schlimm war es gar nicht.«
    Es war wieder eine schöne Nacht. Ich zwang mich, zum Schachtelhaus gegenüber zu blicken. Nichts. Keine Lichter, keine Bewegung, nicht einmal das Gefühl, beobachtet zu werden.
    »Wie kann auf diesem ganzen Chaos ein Hubschrauber landen?«, fragte Ben und musterte die Dachaufbauten.
    »Der Landeplatz ist auf der anderen Seite«, erklärte ich und sagte: »Kommen Sie, ich zeig’s Ihnen.«
    Ich führte ihn am Rand entlang zum Landeplatz hinüber.
    Während wir auf Travis und Stinger warteten, machte ich eine komplette Führung mit Ben. Ich wies ihn auf mehrere markante Punkte in der Stadt hin, die man vom Dach aus sehen konnte, und fing an, ihm meine Lieblings-Wasserspeier zu zeigen. Allerdings widerstrebte es ihm, sich übers Geländer zu lehnen, um sie sehen zu können, und so versicherte ich ihm, nachdem ich ihm den geflügelten Drachen und die Meerjungfrau vorgeführt hatte, die angeblich ein Abbild der Großmutter des aktuellen Wrigley war, dass wir uns die anderen auch von unten anschauen konnten.
    »Das ist ohnehin der vorgesehene Blickwinkel«, sagte ich, als wir es uns im Café Kelly gemütlich machten. »Obwohl ich zugeben muss, dass ich bei Ihnen keine Höhenangst vermutet hätte, nachdem ich Sie all diese steilen Pfade in den Bergen habe gehen sehen.«
    »Höhen in den Bergen machen mir auch nichts aus«, erwiderte er. »Es sind diese glatten, senkrecht abfallenden Flächen in der Stadt, glaube ich. Aber dafür sind Sie nicht gern in den Bergen, stimmt’s?«
    Ich dachte kurz darüber nach und antwortete: »Die Berge liebe ich. Es sind die Leute, mit denen ich dort oben zu tun hatte, die mich einer Rückkehr dorthin ein wenig beklommen entgegensehen lassen.«
    »Parrish?«
    »Der gehört auch dazu.«
    »Erzählen Sie mir, was an diesem Morgen passiert ist, bevor wir gerettet wurden.«
    »Möchten Sie eine Flasche Wasser? Sie haben die Wahl zwischen dem und Wasser. Große Auswahl in unserem feinen Etablissement.«
    »Serviert mit einem bunten Teller Schwachsinn, wie ich sehe. Sie weichen der Frage aus.«
    »Für den Moment«, räumte ich ein. »Horchen Sie, da kommt der Hubschrauber. Können Sie ihn hören?«
    »Ja«, sagte er mit einem Seufzer.
    Ich stand auf, um die Landelichter anzuschalten. Diese Tür sperrte Leonard gar nicht mehr ab.
    Der Besuch von Travis und Stinger, die Ben in letzter Zeit kaum gesehen hatten, verlief angenehm. Wie üblich blieben sie jedoch nicht lang. Unter Versprechungen, sich bald einmal zu treffen, hoben sie wieder ab. »Travis lernt schnell«, meinte Ben.
    »Ja«, bestätigte ich und machte Anstalten, auf die Tür zum Dach zuzugehen.
    »Warten Sie mal«, sagte Ben. »Ich habe dieses Versprechen nicht vergessen.«
    »Ich auch nicht«, entgegnete ich. »Ich möchte nur gern Ausschau nach Leonard halten können und nach Jerry, dem jungen Mann, der immer zum Rauchen hier hoch kommt. Ich will nicht unbedingt vor sämtlichen Mitarbeitern mein Innerstes nach außen kehren. Ich muss die Tür im Auge behalten.«
    Ich sah ihm an, dass er verärgert war, doch er gab nach. Schon bald folgte er mir. Ich muss gestehen, dass ich bummelte. Ich war nicht gerade erpicht auf dieses Gespräch.
    »Herrgott, Irene«, sagte Ben und überholte mich. »Mir fehlt die letzte

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