Grabkammer
sich langsam zum Couchtisch um.
Als sein Blick auf die Fotos fiel, weiteten seine Augen sich vor Entsetzen. Während der Psychiater wie angewurzelt dastand, erhob sie sich und ging langsam auf ihn zu.
»Er sammelt Frauen, Dr. Hilzbrich. Und er ist im Begriff Josephine Pulcillo dieser Sammlung hinzuzufügen. Uns bleibt nur noch wenig Zeit, ehe er auch sie umbringt. Und sie zu so etwas verarbeitet.« Sie deutete auf das Foto von Lorraine Edgertons mumifizierter Leiche. »Und wenn er das tut, dann klebt Josephines Blut an Ihren Händen.«
Hilzbrich starrte immer noch die Fotos an. Seine Beine schienen plötzlich den Dienst zu versagen, und er wankte zu einem Stuhl, auf den er kraftlos niedersank.
»Sie wussten, dass Bradley zu so etwas fähig war. Nicht wahr?«, fragte Jane.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das wusste ich nicht.«
»Sie waren sein Psychiater.«
»Das ist über dreißig Jahre her! Er war erst sechzehn. Und er war ein stiller, wohlerzogener Junge.«
»Sie erinnern sich also an ihn.«
Eine Pause. »Ja«, gestand er. »Ich erinnere mich an Bradley.
Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass irgend etwas, was ich sage, Ihnen weiterhelfen könnte. Ich habe keine Ahnung, wo er jetzt ist. Ich hätte ganz bestimmt nie gedacht, dass er zu so etwas …« Sein Blick streifte die Fotos. »Dass er zu so etwas fähig wäre.«
»Weil er so ruhig und wohlerzogen war?« Sie konnte sich ein zynisches Lachen nicht verkneifen. »Gerade Sie müssten doch wissen, dass es immer die Ruhigen sind, die man besonders im Auge haben muss. Sie müssen die Zeichen erkannt haben, auch wenn er erst sechzehn war. Irgendetwas muss Sie doch vorgewarnt haben, dass er eines Tages einer Frau das da antun würde.«
Widerstrebend richtete Hilzbrich den Blick noch einmal auf das Foto der mumifizierten Leiche. »Ja, das notwendige Wissen dürfte er haben. Und wahrscheinlich auch die praktischen Fertigkeiten«, gab er zu. »Er war fasziniert von der Archäologie.
Sein Vater schickte ihm ein Paket mit ägyptologischer Fachliteratur, und Bradley las die Bücher immer wieder. Er war besessen davon. Ich gestehe Ihnen also zu, dass er wusste, wie man eine Leiche mumifiziert. Aber eine Frau zu überfallen und zu entführen?« Er schüttelte den Kopf. »Bradley hat nie bei irgendetwas die Initiative ergriffen, und er hatte Probleme, sich durchzusetzen. Er war ein Mitläufer, kein Anführer. Dafür ist sein Vater verantwortlich, wenn Sie mich fragen.« Er sah Jane an. »Sie haben Kimball kennengelernt?«
»Ja.«
»Dann wissen Sie ja, wie dominant er ist. In dieser Familie trifft Kimball sämtliche Entscheidungen. Er bestimmt, was das Beste für seine Frau und seinen Sohn ist. Wann immer Bradley vor eine Wahl gestellt wurde, und sei es so etwas Banales wie die Frage, was er zum Abendessen wollte, dann musste er erst lange hin und her überlegen. Er hätte größte Probleme, wenn er binnen Sekunden eine Entscheidung treffen müsste, und das muss man doch können, wenn man einen Menschen entführen will, nicht wahr? Man sieht die Frau, man will sie haben, man nimmt sie sich. Da bleibt keine Zeit zum Zaudern oder Zweifeln.«
»Aber wenn er die Chance bekäme, das Ganze gründlich zu planen, wäre er dann nicht dazu in der Lage?«
»Er würde vielleicht darüber fantasieren. Aber der Junge, den ich gekannt habe, hätte nicht den Mut gehabt, einem Mädchen entschlossen entgegenzutreten.«
»Und wie ist er dann in Ihrer Anstalt gelandet? War das nicht Ihr Spezialgebiet – Jungs mit kriminellem Sexualverhalten?«
»Abweichendes Sexualverhalten kann die verschiedensten Formen annehmen.«
»Und welche Form nahm es bei Bradley an?«
»Stalking. Krankhafte Besessenheit. Voyeurismus.«
»Wollen Sie mir erzählen, dass er einfach nur ein Spanner war?«
»Es war schon ein gutes Stück darüber hinausgegangen; das war der Grund, weshalb sein Vater ihn zu uns schickte.«
»Wie weit?«
»Zunächst wurde er mehrfach dabei erwischt, wie er bei einem jungen Mädchen aus der Nachbarschaft zum Schlafzimmerfenster hineinschaute. Dann ging er schon einen Schritt weiter und verfolgte sie in der Schule, und als sie ihn vor aller Augen zurückwies, brach er in ihr Haus ein, als niemand dort war, und zündete ihr Bett an. Daraufhin stellte der Richter Bradleys Eltern ein Ultimatum: Entweder würde der Junge sich in Behandlung begeben, oder er müsste mit einer Haftstrafe rechnen. Die Roses entschlossen sich, ihn in einem anderen Staat unterzubringen, um zu
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