Grabkammer
Hände in den Schoß gelegt und war froh, dass er nicht sehen konnte, wie sich ihre Finger ineinander verkrampften. In der kurzen Zeit ihrer Zusammenarbeit hatte er schon ein geradezu unheimliches Gespür für ihre Stimmungen entwickelt. Stets wusste er genau, wann sie es brauchte, einfach nur herzhaft über irgendetwas lachen zu können, und wann sie in Ruhe gelassen werden wollte. Sicherlich konnte es ihm nicht entgangen sein, dass dies einer der Momente war, wo sie allein sein wollte, und doch zog er sich nicht zurück. Das passte so gar nicht zu dem Nicholas, den sie kannte, einem Mann, der ihre Privatsphäre stets gewissenhaft respektierte.
»Josie?«, sagte er. »Möchtest du über irgendetwas reden?« Sie lachte reumütig. »Na ja, es ist mir ganz schön peinlich, dass ich bei Madam X so voll danebengelegen habe. Dass ich nicht gemerkt habe, dass es sich um eine Fälschung handelt.«
»Diese Radiokarbonanalyse hat uns beide auf eine falsche Fährte gelockt. Ich habe mich genauso geirrt wie du.«
»Aber du kommst auch nicht von der Ägyptologie. Du hast mich genau dafür eingestellt, und ich habe versagt.«
Sie beugte sich vor und massierte sich die Schläfen. »Wenn du jemanden mit mehr Erfahrung genommen hättest, wäre das nicht passiert.«
»Du hast nicht versagt. Du warst schließlich diejenige, die auf dem CT bestanden hat, schon vergessen? Weil du dir bei ihr nicht hundertprozentig sicher warst. Du bist diejenige, die uns auf den richtigen Weg gebracht hast. Also hör schon auf, dir deswegen Vorwürfe zu machen.«
»Ich habe das Museum schlecht aussehen lassen. Ich habe dich schlecht aussehen lassen, weil du mich schließlich eingestellt hast.«
Er antwortete nicht sofort. Stattdessen nahm er seine Brille ab und putzte sie mit einem Taschentuch. Dass er stets ein frisches Stofftaschentuch bei sich hatte, gehörte zu jenen altmodischen kleinen Angewohnheiten, die sie an ihm so liebenswürdig fand.
Manchmal erinnerte Nicholas sie an einen wohlerzogenen Junggesellen aus einer längst vergangenen, unschuldigeren Zeit. Eine Zeit, als ein Mann noch aufstand, wenn eine Dame das Zimmer betrat.
»Vielleicht sollten wir versuchen, das Positive an der ganzen Sache zu sehen«, sagte er schließlich. »Denk nur an die Publicity, die uns das verschafft. Jetzt weiß die ganze Welt, dass es das Crispin Museum gibt.«
»Aber aus den völlig falschen Gründen. Man kennt uns nur als das Museum mit den Mordopfern im Keller.« Sie spürte wieder den kalten Luftzug aus der Klimaanlage im Rücken und fröstelte in ihrer Strickjacke. »Ich frage mich die ganze Zeit, was wir in diesem Haus noch alles finden werden. Ob da oben in der Decke noch irgendwo ein Schrumpfkopf versteckt ist oder ob hinter dieser Wand noch eine zweite Madam X eingemauert ist. Wie konnte das passieren, ohne dass der Kurator irgendetwas davon wusste?« Sie sah Robinson in die Augen. »Er muss es gewesen sein, nicht wahr? Dr. Scott-Kerr. Er war die ganzen Jahre für die Sammlung verantwortlich, also kann es nur er gewesen sein.«
»Ich habe den Mann gekannt. Es fällt mir sehr schwer, das zu glauben.«
»Aber hast du ihn wirklich gekannt?«
Er dachte darüber nach. »Inzwischen muss ich mich fragen, wie gut irgendjemand von uns William gekannt hat. Wie gut wir einen Menschen überhaupt kennen können. Er wirkte auf mich wie ein ruhiger und vollkommen normaler Mann. Niemand, der einem irgendwie besonders auffällt.«
»Ist das nicht die übliche Beschreibung des Psychopathen, der in seinem Keller zwei Dutzend Leichen vergraben hat? Er war so ein ruhiger, unauffälliger Mann.«
»Das scheint wirklich die Standardbeschreibung zu sein.
Aber die könnte natürlich auf fast jeden zutreffen, nicht wahr?«
Nicholas lächelte ironisch. »Mich eingeschlossen.«
Josephine saß im Bus nach Hause und starrte aus dem Fenster.
Hieß es nicht immer, das Leben sei voller Zufälle? Hatte sie nicht die verblüffenden Geschichten von Urlaubern gehört, die beim Bummel durch Paris plötzlich ihre Nachbarn getroffen hatten? Solche seltsamen Fügungen gab es immer wieder, und das hier war vielleicht einfach nur eine davon.
Aber es war nicht der erste Zufall. Das war der Name auf der Kartusche. Medea. Und jetzt die Indio Daily News.
An ihrer Haltestelle stieg sie aus dem Bus und tauchte in die feuchte Hitze ein wie in einen zähen Brei. Schwarze Wolken hingen drohend über dem Horizont, und als sie auf ihren Block zuging, hörte sie Donnergrollen. Die
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