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Grabmoosalm (German Edition)

Grabmoosalm (German Edition)

Titel: Grabmoosalm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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dass das Muster ihres knielangen dunkelroten Kleids mit den
Blumen harmonierte, welche die Füße ihres Herrn schmückten.
    »Lieber Herr Jesus«, betete sie leise, nachdem sie sich vorher
vergewissert hatte, dass niemand in der Nähe war, der sie hören konnte.
»Allerhöchster Herr, vergib mir meine Schuld. Freilich hab ich gsehn, wie die
Moserin die Mama erschossen hat. Und die hat’s auch mit Absicht getan. Die hat
genau gezielt. Aber die ist doch nicht zurechnungsfähig. Sozusagen schizophil.
Das weißt du selber doch am besten. Die hat wirklich denkt, des is der Wolf.
Weil den hasst sie gewaltig. Die hat pfeilgrad den Wolf erschießen wollen. Und
natürlich ist eine Lüge eine Sünd. Aber wem hätt’s denn geholfen, wenn ich das
ned gsagt hätt, das mit der Sissi! Der Sissi tut’s ned weh, und der Moserin ist
geholfen. Ihr bisserl Leben ist doch eh nix mehr wert. Hätten mir des jetzt noch
verschlimmern sollen, indem ich gsagt hätt, dass sie ihre Tochter erschossen
hat? Bitte, lieber Herr Jesus, hab ein Einsehen mit deiner Sünderin. Ich hab’s
doch wirklich nur gut gmoant. Hab mich ned bereichert, mir keinen Vorteil
verschafft – es war nur der Moserin zulieb.«
    Sie sah auf, schnaufte durch und unterbreitete dem Herrn Jesus einen
Vorschlag. »Mir können auch gern ein Treffen mit dem Herrn Pfarrer engagieren.
Dann hast du’s beichtmäßig.«
    Der Resi tat der Rücken weh. Sie reckte sich. Vor ihrem inneren Auge
wurde der Seppe abgebildet. Ihr Sohn. Wie er dastand, die Händ in den
Hosentaschen, mit dicken Schmolllippen im Gesicht.
    »Und bitte, allergnädigster Herr Jesus, mach, dass mir der Seppe ned
gram ist. Der hat ja die ganze Gschicht brühwarm mitgekriegt. Mach, dass der
mir keine Vorwürf macht, und bitte mach auch, dass er sich von seinem Schock
wieder erholt.«
    Sie wandte die Augen zum Himmel, dann wieder zu der Figur am Kreuz.
    »Der Pfeiferl«, setzte sie hinterher.
    »Ich möchte dich fragen – hast du ihm des gschickt mit dem
Pfeifen? Dass er nimmer reden kann? Hast du ihm des Schicksal gschickt? Bitte
nimm den Fluch wieder von ihm! Lieber Herr Jesus, ich bitte dich sehr. SEHR !
Mehrer noch als alles andere.«
    Danach blieb die Resi noch eine ganze Weile auf den Knien und
schwieg. Dann machte sie einen tiefen Schnaufer und stand auf.
    »Amen«, sagte sie leise in demütigem Ton.
    Und – hatte der Gekreuzigte ihr nicht zugezwinkert? Unter dem
dunklen Dacherl und in dem ganzen Qualm von der Fabrik konnte sie es nicht
richtig erkennen. Aber sie glaubte schon, dass er ihr zugezwinkert hatte.
Eigentlich war sie sich sogar sicher. Und was das bedeuten tät, konnte sie sich
ausrechnen. Wenn’s stimmen tät, na, dann wär ja bald alles wieder gut.
    »Amen«, wiederholte sie. »Und danke.«
    Auf einmal hatte sie das Gefühl, ein Engel striche mit den Flügeln
beim Schweben um ihre Beine.
    Aber es war nur die Sissi mit ihrem Schwanz.
    »Ja, wo kimmst denn du her?«, rief die Resi aus und legte eine Hand
auf den großen Kopf. »Schickt dich der Herrgott?«
    Die Tigerdogge legte den Kopf zur Seite und sah sie aus großen
braunen Augen an.
    »Na klar, was sonst?«, las die Resi darin.
    »Also«, rief sie aus und klatschte in die Hände. »Jetzt gehmer
wieder hoam.«

VIER
    Als Ottakring am Wohnstift Grandis ankam, war es dunkel.
    Ein grünlich verblasster Kunststoffmülleimer mit unbeschreiblich
stinkendem Inhalt stand auf einem verwahrlosten Rasenstück rechts vom Eingang
zum Wohnstift. Ein Metalltor mit spitz zulaufenden senkrechten Stäben, an denen
Drachen sich hätten aufspießen können, führte auf den Innenhof des früheren
Schlösschens.
    Das Tor war mit wildem Wein bewachsen, daneben eine gusseiserne
Bank.
    Zwei Meter weiter, bereits im Innenhof, prangten drei gleich große
Verbotsschilder: ein rot durchgestrichenes Handy, eine rot durchgestrichene
Zigarette und ein ebenso rot durchgestrichener Hund.
    Der Innenhof war von Gaslampen bewacht, die vor nicht allzu langer
Zeit auf elektrisch umgerüstet worden waren. Eine breite, ausgetretene
Steintreppe führte zum Hausportal hinauf, wo ein helles Rechteck die Aufnahme
markierte. Das ockerfarbene Licht stammte aus mehreren Sparlampen, die an das
abbröckelnde Gipsrelief unter der Zimmerdecke montiert waren.
    Dass Ottakring sich beim Betreten beobachtet fühlte, rührte von einer
kantigen Raubvogelsilhouette her, die hinter dem Empfangstresen lauerte. Der
scharfe Blick war von derselben Farbe wie das Ordensgewand, das der Vogel

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