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Grabmoosalm (German Edition)

Grabmoosalm (German Edition)

Titel: Grabmoosalm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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er, der Seppe, hat genau gesehen, wie
die Moserin die zwei Patronenhülsen aufghobn hat. Die durch die Tasse und die
durch den Mund. Schaumermal.
    Noch wuider aber ist das, was die Mama der Polizei gsagt hat. Von
wegen der Sissi und so. Die Sissi – nie im Leben tät die so was
fertigkriegn. Die Großmutter erschießen, die wo sie für den Wolf gehalten hat.
Nie! Da ist die Sissi viel zu gutmütig und zu deppert dafür.
    Ja, der Seppe machte sich Sorgen. Jetzt, wo die Oma tot war, machte
er sich Sorgen um die Mama, die Sissi und die Welt.
    Nass bis auf die Knochen blieb er vor der Haustür stehen. Lang war
er nicht unterwegs gwesen. Er strich sich die Haare aus der Stirn und drückte
die Klinke hinunter. Nix! Noch einmal drückte er die Klinke.
    Die Mama hatte abgesperrt! Sie sperrte doch nie ab. War sie sauer?
Kräftig schlug er mit den Knöcheln dreimal gegen die Tür. Wenn sie kommt, um
mir eine Watschn zu geben, dann am besten gleich. Erneut klopfte er, und kurz
darauf hörte er Mamas Schritte näher kommen.
    Das Schloss drehte sich. Die Tür öffnete sich einen Spalt. Ein dunkler,
argwöhnischer Blick lastete auf ihm.
    Als der Mond in dieser Nacht aufging, hing er bleigrau,
verformt, beinahe geschwollen zwischen den Bergen und erleuchtete das ganze
umliegende Land. Eine fahle Welt. Sichtbare Wolkenschatten glitten über die
Papierfabrik, ihre Schlöte und den Qualm, den das Werk produzierte.
    Überall halb frisches Blut. Die Resi bemühte sich erst gar nicht, es
wegzuwischen. Ihre Mam war in einem Zinksarg abtransportiert worden. Nach
München würde sie gebracht, hatten sie gesagt. Ihre Leiche würde dort
aufgemacht, hatten sie angekündigt. Um nachzuschauen, ob das, was sie, die
Resi, ausgesagt hatte, stimmte, hatten sie gesagt. Auch die Flinte hatten sie
mitgenommen und die Moserin zurück ins Wohnstift gebracht. Alles, was der Resi
geblieben war in dieser schweren Nacht, waren der Seppe und die Sissi.
    Und die frischen Erinnerungen. Ihre Gedanken wirbelten. Was sollten
sie schon finden? Die Mam konnte nichts mehr sagen. Wer die Kugel durch sie
hindurchgejagt hatte, war ja wohl kaum feststellbar.
    Oder?
    Fingerabdrücke an der Flinte würden sie nicht finden. Sie hatte sie
sorgfältig abgewischt, bevor der Trupp angereist war. Auch den Abzug.
    Und ein Hund hinterlässt keine Fingerabdrücke. Aussagen kann er auch
nicht.
    Den Seppe hatte sie im Griff. Also – was sollte passieren?
    Wo war der Seppe? Wie durchgedreht rannte sie durchs Haus.
    »Seppe! Seppe!«
    Mein Gott, wo war der Seppe?
    In diesem Augenblick klopfte es.
    Hatte sie die Tür abgesperrt?
    War der Seppe draußen?
    Sie rannte zur Tür. Rüttelte. Rüttelte. Abgesperrt.
    Sie schloss auf.
    Da stand er, der Seppe. Nass bis auf die Knochen.
    Dann lagen sie sich wieder in den Armen und heulten Rotz und Wasser.
    Kalt war’s. Sie zog ihn herein.
    Er sagte nichts. Er pfiff.
    Eigenartig. Er redete nicht mehr. Er pfiff nur mehr.
    »Ja, Seppe, mei Kloaner, was ist mit dir? Hat’s dir die Sprach
verschlagen?«
    Wortlos hob der Seppe die schmalen Schultern.
    Nur die Sissi behielt die Übersicht. Majestätisch lag sie mit überkreuzten
Vorderpranken vor den zwei jammernden Menschenbündeln. Aus voller Kehle kam ein
tiefes Bellen. Zuerst dreimal. Dann noch zweimal.
    »Ja mei«, sollte das heißen, »lass den Seppe doch in Ruh. Ich kann
ihn verstehn. Du musst dich nur bemühn.«
    Die Resi warf der Hündin einen dankbaren Blick zu.
    »Ja, wenn ich dich versteh«, sollte der Blick bedeuten, »dann werd
ich den Seppe schon auch bald verstehn lernen.«
    Sie spielte mal wieder die Fröhliche, die Unbeschwerte, die Resi.
Aber innerlich war sie von einer großen Unruhe erfüllt. Es gab Zeichen, die
nichts Gutes verhießen.
    ***
    Drüben, wo die weiten Wiesen von der Grabmoosalm aufhören
und in grünen Wald übergehen, stand von alters her ein Kruzifix. Ein
moosbewachsener Felsbrocken, der aus der Gebirgskette am südöstlichen Horizont
herausgerissen schien, kauerte wie ein zu Stein gewordener Zeuge daneben.
Nachdem sie vor anderthalb Jahren den Christus geklaut hatten, hing nur mehr
eine grobkörnige Farbfotografie des Gekreuzigten am Holz des Kreuzes. Sie war
mit Kunstblumen umrankt, Kunstblumen schmückten auch die gefalteten nackten
Füße. Das Feldkreuz war oben überdacht und über zwei Meter hoch.
    Die Resi musste also gut aufschauen, als sie in der nächsten Früh
davorkniete, um zum Herrn Jesus zu beten oder ihm gar zu beichten. Es war
sicher ein Zufall,

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