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Grabmoosalm (German Edition)

Grabmoosalm (German Edition)

Titel: Grabmoosalm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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pochendem Herz und nahm das Bild in sich auf. Sie
würde es für ewig in sich tragen. Ihre Mutter tot, ihr zerschossener Kopf, ein
umgestürzter Stuhl, das verspritzte Blut und ihr Gehirn, ein Gewehr auf den
Holzbohlen neben einem hellen Webteppich mit blauen Rändern.
    »Wieso sagst du mir am Telefon, dass die Annemirl gstorbn
ist, ha?«, fragte der Landarzt die Resi aufgebracht.
    Er war ein dicker Mann in grünem Loden und war mit seinem alten
Schnauferl den Berg heraufgekommen.
    »Die ist erschossen worden. Ermordet. Oder hat sie sich selber
erschossen? Jedenfalls einfach so vor sich hingstorbn is die ned.«
    Die Augen des Doktors schossen Blitze durch die starke Hornbrille in
Resis Richtung.
    »Hast du des gsehn, wie’s passiert ist, ha?«
    Als die Resi wortlos und noch immer verstört nickte, sagte er: »I will’s
gar ned wissen. Plag di net. Ich muss eh die Polizei einschalten. Erzähl du des
denen.«
    »Also, dann erzählen Sie!«
    Während die beiden Männer und die Frau in weißen Kapuzenoveralls
sich über jeden Quadratzentimeter im Gastraum der Grabmoosalm hermachten, saß
die Resi einem grimmigen Herrn im feinen Anzug gegenüber. Er hatte sich ihr als
Kriminalirgendwas vorgestellt, ihr sogar seinen Ausweis unter die Nase
gehalten. Doch den Namen wusste sie nicht mehr.
    Innerhalb von Sekunden hatten die Kriminaler herausgefunden, dass
mit der alten Moserin nicht viel anzufangen war. Eigentlich gar nichts. Sie saß
still in einer Ecke und stierte vor sich hin.
    Deshalb hatten sie sich gleich an die Resi gewandt.
    Zuerst hatte die Resi fürchterlich geheult. Sie war aus dem Heulen
gar nicht mehr herausgekommen. Sie und der Seppe waren sich in den Armen
gelegen und hatten beide Rotz und Wasser geweint und geschluchzt.
    Geliebt hatte die Resi ihre Mutter nicht. Sie waren mehr wie zwei
Schwestern gewesen, die oft stritten. Aber trotzdem …
    Sie hatte sich überlegt, was sie denen sagen sollte. Und ein paar
Einzelheiten verändert, damit die Sach nicht herauskommt. Und dem Seppe hatte
sie eingetrichtert, bloß kein Wort zu sagen. Einfach nur zuhören, was sie
selber sagt, wenn’s so weit ist.
    Der Moserin hatte sie, so weit das ging, die neue Sachlage erklärt
und ihr eingeschärft, sie solle sich raushalten.
    »Ich regel das schon«, hatte sie zur Moserin gesagt. »Ich werd mich
einfach engagieren.«
    »Hier entlang«, hatte sie – ganz frisch gebackene Chefin der Grabmoosalm –
zu den Kriminalern gesagt.
    Die Männer und die Frau waren ihr von der Haustür her anstandslos
gefolgt.
    Die Resi hatte sich vorgenommen, die Polizei selbst zu ihrer toten
Mutter zu führen. Aber nachher brachte sie es doch nicht fertig. An der Tür war
sie stehen geblieben.
    »Sie ist da drin«, sagte sie leise und deutete auf die Tür zum
Leichenzimmer.

ZWEI
    Heute, an diesem grauslichen, nassen Tag, hatte sich die
Annemirl gleich in der Früh mit Flinte und scharfer Munition hinausbegeben, um
den Wolf zu schießen, der die Schafe tagelang malträtiert hatte.
    »Und du hilfst mir, Sissi«, sagte sie zu der Tigerdoggenhündin, die
elegant wie ein Dressurpferd hinter ihr hertrabte.
    Die Sissi grunzte zweimal, was vermutlich bedeutete: »Okay, mach
ich. Wenn’s sein muss.«
    Während die Annemirl ein graugrünes Gewand trug, das bis zu den
Knöcheln reichte, und ein dunkelrot geblümtes Kopftuch, war die Sissi in reines
Weiß gekleidet. Über den elegant gestreckten Körper waren ungleichförmige,
zerrissene lackschwarze Flecken verteilt. Den Hals zierte ein silbernes Band.
Es erweckte den Eindruck, als sei die Hündin unter Lämmern und Goldfischen groß
geworden. Doch das täuschte. Früher hieß diese Tierart Saupacker oder Hatzrüde.
    Der Wolf, als sie ihn schließlich sichteten, bekam das zu spüren.
    Die beiden schenkten sich nichts im folgenden Kampf. Die Sissi war
größer und schwerer als der Wolf. Aber der Wolf war wendiger und an
Überlebenskämpfe gewohnt. Schmerzen und Blut spielten für beide keine Rolle.
    Die Annemirl stand staunend hinter einem Baum und schaute zu, wie
sich ihre Sissi mit kräftig strampelnden Beinen für Sekunden auf dem Rücken
wälzte, danach aber immer mehr die Oberhand gewann.
    Der Kampf wurde dadurch beendet, dass beide Tiere sich mit
gefletschten Lefzen knurrend umkreisten. Zum ersten Mal wurde der Annemirl
deutlich, dass ihre brave Hündin Zähne besaß, die mit Leichtigkeit einen
Oberschenkel knacken konnten.
    Die Sissi brach schließlich den Bann, stellte sich vor die Annemirl
und

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