Grabmoosalm (German Edition)
nach einem Käsekuchen mit
Erdbeeren obendrauf.
Die Annemirl blickte zweifelnd zu ihrer Tochter hin, und die Resi
schaute zurück. Ja, sie ist wieder total umnachtet, schien ihr Blick zu sagen.
»Moserin, ja Mama, das ist doch die Sissi. Die kennst doch!«, rief
sie aus. »Die hat den Wolf verjagt. Aber sie ist doch ned der Wolf.«
»Drei Schaf. Die Sissi.«
Die Annemirl schüttelte heftig den Kopf, legte die gesicherte Flinte
zur Seite und kniete sich zur Hündin hin. Mit gespreizten Fingern fuhr sie ihr
übers samtene, blutige Fell.
Der Seppe trat neben seine Urgroßmutter und nahm ihre Hand.
»Die Sissi is jetzt sieben Jahr alt. Fast so alt wie ich. Aber die
is nie und nimmer a Wolf. Und der Käskuchen is aus, Moserin.«
In seinem für Nichteingeweihte schwer verständlichen Dialekt
ermahnte der Seppe die Mutter von der Annemirl, also seine Urgroßmutter, doch
stad zu sein. Zu oft schon hatte er sie aufgeregt erlebt, wenn sie etwas nicht
bekam, zum Beispiel Recht, oder wenn ihr etwas gegen den Strich ging.
»Woaßt scho.«
Die Gaststube auf der Grabmoosalm war ein rechteckiger
Raum mit Fenstern an drei Seiten. Die vierte Seite war vom Ausschank und dem
mächtigen grünen Kachelofen mit umlaufender Bank besetzt, darüber waagerechte
Holzgestänge, an welche die Skitourengeher im Winter ihre nassen Klamotten
hängen konnten. Auf den uralten Holzdielen waren in regelmäßigen Abständen vier
Jogltische aus Zirbenholz verteilt, deren Platten quadratisch und glatt
gescheuert waren. Im Herrgottswinkel hing das obligatorische, mit roten
Seidennelken geschmückte Kruzifix. Sonstiger Schmuck hielt sich in engen
Grenzen. Es roch nach Scheuermitteln, Kaffee und etwas Moder.
Die stahlgraue Sonne durchdrang kaum den Dunst der Natur.
Es dämmerte.
Zu viert saßen sie um den Tisch im Herrgottswinkel. Der Seppe mochte
diesen Tisch besonders gern, denn er konnte unten die Schuhe auf die Fußleiste
stellen, und in der Schublade vor sich hatte er immer ein paar Leckerli für die
Sissi versteckt. Deshalb saß der Hund normalerweise mit aufgestellten Ohren und
hängenden Lefzen neben ihm und folgte jeder seiner Bewegungen mit gequältem
Blick aus den blutunterlaufenen Augen. Heute war es anders. Die Sissi lag mit
geschlossenen Augen zusammengerollt hinten im Eck neben dem Kachelofen.
Verwundete mögen es warm.
»Die Sissi wird scho wieder werden«, sagte die Resi. »Wer kriecht,
kann ned stolpern.«
Die Annemirl und die Moserin hatten ein Glas frische Milch von ihren
eigenen glücklichen, frei laufenden Kühen vor sich. Die beiden Frauen saßen
sich gegenüber, zwischen ihnen lag nur die geladene Flinte auf dem Tisch. Die
Annemirl war der Meinung, in ihrer Waldeinsamkeit sei es besser, wenn man
jederzeit bewaffnet sei. Davon war sie nicht abzubringen.
»Geht’s dir gut?«, fragte die Annemirl über den Tisch hinweg und
schaute ihrer Mutter tief in die Augen.
Die Moserin trank ihr Glas aus. »Aaaaah«, machte sie.
Dem Seppe wurde langsam langweilig. Er rutschte auf dem Hosenboden
hin und her und wünschte sich die Sissi neben sich.
Die Moserin schob ihr Glas mit beiden Händen in die Tischmitte. Dann
stützte sie die wie zum Beten gefalteten Hände und die Ellenbogen auf den
Tisch.
»Die Ottakring«, deutete sie an. Und schwieg. Und schaute zur dunkel
bemalten Holzdecke.
»Ja, die Ottakring«, sagte die Annemirl, seufzte und legte den Kopf
schräg.
Die Resi bettete eine Hand auf den Unterarm der rechts von ihr
sitzenden Moserin.
»Was ist mit der Ottakring?«, fragte sie ihre Großmutter. »Will die
wieder eine Extrawurst gebraten bekommen?«
Beim Wort »Wurst« sauste Sissis Kopf nach oben. Die schwarzen
Lackflecken auf dem weißen Fell leuchteten. Das Blutrot dazwischen hatte der
Seppe schon entfernt. Mit Augen wie Spiegeleier äugte sie mit gestrecktem Hals
und heraushängender Zunge vom Ofen zum Tisch herüber.
»Himmelherrgott noch mal«, sollte das wohl heißen. »Gibt’s hier nix
zum Knabbern für eine schwer verletzte Heldin?«
Vielversprechend zog der Seppe seine Schublade auf.
Die Sissi wollte sich erheben, verwurschtelte sich aber mit den
Beinen und kippte zur Seite. Im Liegen noch stellte sie die Ohren auf und
schlug an.
»Was bellst du denn?«, fragte die Annemirl.
»Wegen mir wahrscheinlich«, kam es von der halb offenen Tür her.
Die Annemirl riss mit einem Ruck die Flinte an sich. Sie befürchtete
einen Indianerüberfall.
»Ich war grad in der Gegend«, sagte der Mann mit braunem Filzhut
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