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Grabmoosalm (German Edition)

Grabmoosalm (German Edition)

Titel: Grabmoosalm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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Johannisbeerschorle zu bringen, stand sie später vor denselben Gästen,
lächelte überlegend und servierte ihnen den Schöpflöffel aus der Küche.
    Als schließlich die Annemirl die Gedächtnisstützen der Moserin fand,
wurde allen vieles klarer. Die Moserin hatte ihre Lücken selbst bemerkt!
    Als die Annemirl sich eine Fanta holen wollte, lag ihr Strickzeug im
Kühlschrank.
    »Ist doch ganz normal«, sagte die Moserin. »Ist dir das noch nie passiert?
Du gehst mit deinem Strickzeug in die Stubn. Weil du stricken willst. Aber dann
kommt was dazwischen. Der Seppe oder die Sissi oder ein Telefonanruf. Deswegen
musst du in die Küche. Du hast immer noch das Strickzeug in der Hand, willst
dir ein Wasser aus dem Eisfach holen und legst versehentlich das Strickzeug in
den Kühlschrank.«
    Freudig sah sie ihre Tochter an. »Kennst du das auch?«
    Sie lachte laut. »Gell, bestimmt kennst du das auch.«
    Ihr Lachen wollte nicht mehr aufhören.
    »Na ja«, besprach die Annemirl den Fall mit der Resi. »Des könnt ja
noch taugen. Aber ihre ganzen Merkzettel!«
    An dem Strickzeug war ein Lederbeutel befestigt. In dem Beutel
steckten mehrere Zettel, beidseitig krakelig beschrieben.
    Zum Beispiel dieser: Auf der einen Seite eine primitive Skizze, wie
sie aus dem Dorf wieder zur Grabmoosalm finden würde. Neben dem Kreis, der die
Alm bezeichnete, stand in Großbuchstaben » ALM «.
    Auf der anderen waren Namen verzeichnet. WIR :
Annemirl, Resi, Seppe. HUND: Sissi. ICH : Moserin. Dann kam ein Pfeil in östliche Richtung,
der zum » WALD « wies.
    »Also da fehlt’s schon weit«, waren sich die beiden Frauen einig
gewesen. Sie mussten zukünftig besser auf die Moserin aufpassen.

ZEHN
    Ottakring hatte nur am Rande registriert, dass ihm beim
Runtergehen die junge Wirtin von der Alm entgegengekommen war. Da stand er
schon vor der Bürotür der Unruh.
    Vorhin noch hatte ihn eine unbezähmbare Wut auf die Heimleiterin
gepackt. Nun hatte er sich etwas beruhigt und stürmte nicht gleich in das
Zimmer, wie er es vorgehabt hatte. Er klopfte.
    Nichts.
    Er drehte am Türknopf.
    Nichts.
    Er rüttelte an der Tür.
    Verdammt, wo ist sie? Ist sie wieder nicht da? Sie hatten diesen
Termin doch vereinbart.
    Er musste mit ihr über die Rechnung reden. Über das, was auf dem
Papier stand und nicht geleistet worden war. Nicht, weil seine Mutter sich
beschwert hatte, sondern weil die Tatsachen offenkundig waren, wenn man sich im
Zimmer umsah und umherroch.
    »Ach, da sind Sie ja«, hörte er ihre Stimme hinter sich.
    Wenn sie sprach, erinnerte das an das Gurren einer Ringeltaube, die
einen im Sommer um halb fünf in der Früh weckte.
    »Schon eine ganze Zeit«, knurrte Ottakring.
    »Bitte, kommen Sie doch, Herr Ottakring. Lassen Sie uns über Ihre
Mutter sprechen.«
    »Nehmen Sie bitte Platz«, sagte sie drinnen.
    Drinnen, das war ein Kämmerlein von der Größe eines Ziegenstalls und
roch ähnlich.
    Wortlos holte er den Umschlag aus der Brusttasche.
    »Über Mutter brauchen wir nicht zu reden. Aber darüber. Hier.«
    Er faltete die letzte Monatsrechnung vor ihren Augen auf einem
winzigen, viel zu niedrigen Tischlein aus und sah sie an.
    Sie setzte eine Halbbrille mit schwarzem Rand auf und überflog das
Papier.
    Ottakring wusste aus langer Erfahrung, dass es am besten war, erst
einmal gar nichts zu sagen und nur mit ruhiger, interessierter Miene
abzuwarten. Das würde sein Gegenüber schon von selbst zum Reden bringen.
    Das Haar, das der Unruh an den Seiten ins Gesicht fiel, war kürzer
als das der Bundeskanzlerin und dazu noch lieblos geschnitten. Sie trug auch
keinen Lippenstift und keinerlei Make-up.
    Als er aber zum zweiten und dritten Mal hinschaute, hatte er den
Eindruck, dass er diese Frau schon irgendwann und irgendwo gesehen hatte. Ihre
gerade Nase, schmal und leicht gebogen, glich der von Kleopatra auf alten
Reliefs. Die Augen hinter den Halbgläsern hatten sich einen jugendlichen,
frischen Glanz bewahrt. Und unter dem abgemähten Haar verbarg sich eine hohe
Stirn ohne jegliche Falten. Doch auch nachdem er alle Merkmale registriert und
gespeichert hatte, wusste er die Frau nirgends unterzubringen.
    Als die Unruh das Papier gelesen hatte, nahm sie die Brille ab und
schreckte ihn mit einer Frage auf: »Sie haben mich nicht erkannt, nicht wahr,
Herr Kriminalrat?«
    In seinem Kopf tobte es. Sie behauptete demnach, dass er sie kennen
musste. Das konnte stimmen. Denn auch ihre Stimme kam ihm jetzt, wo sie es
aussprach, bekannt vor. Doch er

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