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Grabmoosalm (German Edition)

Grabmoosalm (German Edition)

Titel: Grabmoosalm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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bestimmt.
    Zuvor hatte er Ottakring kurz in die Vorgänge um Barbara Unruhs
Ermordung eingewiesen. Vor allem, wie Schwester Clara durch ihr ungeschicktes
Verhalten zahlreiche Spuren verwischt hatte.
    Joe Ottakring befand sich in dem Raum, der für ihn während seiner
aktiven Zeit zur zweiten Heimat geworden war. In seinem früheren Dienstzimmer.
Er saß vor dem Schreibtisch, hinter dem er praktisch tagtäglich gesessen hatte.
Die Lampe, die oft Abend für Abend gebrannt hatte. Das schwarze Telefon, das
Schreibgerät, der nie genutzte Aschenbecher.
    Obwohl er für die Heimleiterin nicht die große Sympathie gehegt
hatte, machte ihn ihr gewaltsamer Tod betroffen. Augenblicklich fragte er sich
nach dem Wer und dem Warum. Welche Feinde sollte sie gehabt haben? Fragend sah
er Stahl an.
    Er blickte in Augen, die ihn gefühllos musterten.
    »Schildern Sie doch bitte, wie sich das abgespielt hat«, sagte Rico
Stahl. Sein Kinn ragte entschlossen nach vorn. »War Frau Unruh nervös? Hatte
sie Angst? Haben Sie sonst etwas Besonderes bemerkt?«
    Mit erhobenen Augenbrauen stützte Ottakring sein Kinn auf die
Handfläche.
    »Was soll diese Fragerei? Werde ich verdächtigt? Weil ich der Letzte
war? Das übliche Muster?«
    Ottakring schenkte Stahl ein breites väterliches Lächeln, das aber
sofort wieder verschwand. »Das wär doch was, oder? Der letzte Mordchef als
Täter. Oder zumindest als Hauptverdächtiger. Weil er der Letzte war.«
    Stahl nickte kaum merklich. »Steht Ihnen gut, der Sarkasmus«, sagte
er. »Worum also ging’s in Ihrem Gespräch?«
    Ottakring räusperte sich und kratzte sich am Ohr. Er fühlte sich
unwohl. Zögernd schilderte er, dass er die Heimleiterin wegen der überhöht
scheinenden Rechnung für seine Mutter aufgesucht hatte.
    Einen Moment lang schwankte er, ob er die Tatsache, dass die Frau
ihm früher als Schwester Veneranda in der Münchener Maria-Theresia-Klinik
begegnet war, für sich behalten sollte. Doch es ging um die Aufklärung eines
Mordfalls.
    »Sie hat ihre eigene Mutter gepflegt, hat sie mir berichtet«, fuhr
er fort. »Dadurch kam sie zum ersten Mal mit Alzheimer in Berührung. Das hatte
die Konsequenz, dass sie wegen der langen Abwesenheit aus ihrem Orden
ausscheiden musste. Als die Stelle im Grandis ausgeschrieben wurde, hat sie
sich beworben und hatte Erfolg. So weit ihre Schilderung.«
    »Und die unkorrekte Rechnung? Was ist mit der?«
    Ottakring hob die Schultern. »Die Rechnung ist grundsätzlich korrekt,
hat sich herausgestellt. Der Fehler lag beim Computer und bei meiner Mutter.
Sie lässt keinen an sich heran.«
    Stahl saß hinter seinem Schreibtisch und schwieg.
    »Sie glauben doch wohl nicht im Ernst«, fuhr Ottakring deshalb fort,
»dass ich …«
    Sein Gegenüber winkte ab. »Nein, natürlich nicht im Ernst. Doch Sie
wissen selbst, wir müssen dem nachgehen. Auch wenn es sich um meinen sehr
verehrten Vorgänger handelt.«
    Ottakring hatte nicht mehr zugehört. Eine Frage wirbelte seit vorhin
durch seinen Kopf. Die Frage nämlich, die er der Ermordeten gestellt hatte:
»Ist die Moserin eine Mörderin, Frau Unruh? Was meinen Sie, Schwester
Veneranda?« Es war die letzte Frage gewesen, die er an die Lebende gerichtet
hatte.
    Er beschloss, mit seiner Mutter zu reden. Vielleicht war doch noch
ein Funken Normalität in ihr.
    ***
    Gretl Ottakring wollte Pferdeschlitten fahren. Ihr Vater
war immer mit ihr Pferdeschlitten gefahren, gleich in der Früh waren sie dann
aufgebrochen. Um halb zwei Uhr in der Nacht stand sie also auf, um zum
Pferdeschlittenfahren zu gehen. Schon am Nachmittag hatte sie aus dem Zimmer
ihrer Nachbarin eine Pelzmütze, ein Paar hellgraue Wollhandschuhe und zwei Paar
warme Strumpfhosen geholt. Geholt, nicht entliehen oder gar geklaut. Gretl
hielt das Zimmer ihrer Nachbarin für ihr Ankleidezimmer, ein Lebensstil, wie
sie ihn von früher gewohnt war. Mühsam, auf der Bettkante sitzend, streifte sie
sich Wollsocken über, und über ihr knielanges Blümchennachthemd zog sie den
alten hellen Anorak aus ihrem Schrank. Darunter eine Strumpfhose, verkehrt
herum.
    »Kalt wird’s heut Nacht, Gretl«, flüsterte sie und bildete sich ein,
ihr Vater spräche zu ihr.
    Ihr graute vor der Kälte. Kälte hatte sie nie gemocht. Bevor sie das
Haus verließ, ging sie kurz ans Fenster und blickte hinaus. Komisch, draußen
war es hell! Sie sah Bäume, zwei Mülleimer, den grau verhangenen Himmel mit ein
paar blauen Löchern drin. Komisch. Hell um halb zwei in der Nacht.
    Sie

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