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Grabmoosalm (German Edition)

Grabmoosalm (German Edition)

Titel: Grabmoosalm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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Ihrem Bett.«
    »Grüß dich, Papa«, sagte Gretl freudig zu Joe Ottakring und klatschte
in die Hände. »Können wir endlich losfahren? Hast du das Taxi dabei?«
    ***
    Ein hilfesuchender Blick huschte hinüber zur Mam, die sich
in der Vase drüben am Fensterbrett befand. Gleich nach der Beerdigung hatte die
Resi die Asche in einer Nacht- und Nebelaktion heimgeholt. Sie sollte weiter in
ihrer Nähe bleiben.
    Da man schlecht eine Urne offen in der Gaststube aufbewahren kann,
hatte sie die Asche in eine bemalte Bauernvase umgefüllt. Hier ruhte seither
die Annemirl Moser und passte auf, dass der Grabmoosalm nichts zustieß.
    Nicht einmal der Seppe hatte von dieser Standortänderung erfahren
sollen. Er vermutete seine tote Großmutter noch auf dem Friedhof, wo sie
hingehörte. Doch heute sollte er sie endgültig mit zu Grabe tragen.
    »Komm, Pfeiferl«, rief die Resi ins Haus. »Wir gehen jetzt.«
    Geduckt in ihre Senke lag die Grasmoosalm da.
    Der Pfeiferl kam auf dem Treppengeländer heruntergerutscht.
    »Dididitdaadaadaadit«, pfiff er laut. Er überschlug sich fast vor
Freude. Dass er wieder nur pfeifen konnte und nicht mehr sprechen, seitdem er
aus dem Wald zurückgekommen war, hatte er längst verschmerzt.
    Als die Sissi die vertrauten Laute hörte, kam sie in großen Sätzen
angerast. Aus Richtung Wald kam sie angerast.
    Der Gestank der Papierfabrik verschlug ihnen allen heute fast den
Atem. Feuchter grabgrauer Nebel lag über der Alm mit ihren Weiden, Buschreihen
und Bäumen bis hin zum Wald und drückte aufs Gemüt.
    Es herrschte eine trübe Stimmung rings um die Grabmoosalm. Selbst
die Viecher schwiegen. Eine Friedhofsatmosphäre, die so richtig zu dem passte,
was die Resi vorhatte und wo sie ihre Familie dabeihaben wollte.
    Die Resi, der Pfeiferl und die Sissi gingen in den Wald. Vor sich
her trug die Resi die bemalte Bauernvase, in der sich die Asche ihrer Mutter
befand. Das Muster der Vase passte perfekt zu ihrem Kleid. Doch nach solcher
Art von Harmonie stand Resi nicht der Sinn.
    Mit jedem Schritt wurde sie trauriger. Nicht nur, dass sie ihre
Mutter zu Grabe trug. Es waren vor allem die Umstände, wie sie gestorben war.
Doch Asche drüber! Was geschehen ist, ist geschehen und nicht mehr zu ändern.
Das Schlimmste, fand sie, war die Tatsache, dass der Seppe den ganzen Scheiß
mitgekriegt hatte und hatte mit ansehen müssen. Doch außer dass er nicht mehr
normal reden konnte, ließ er sich mit keiner Faser anmerken, dass er unter dem
Erlebnis litt.
    Kinder waren eben so.
    Sie hatten bereits Rehwiesen überquert, und die Resi machte sich
bereit, ihr Vorhaben zu verwirklichen. Da ertönte von weit her ein grausiges
Heulen. Der Wolf!, schoss es ihr durch den Kopf.
    Sie sollte recht behalten.
    Die Sissi rannte zuerst, dann der Pfeiferl. Keine Sekunde später
waren von den beiden nur mehr Staubwolken zu sehen, und die Resi stand mit der
Asche ihrer Mutter auf dem Arm allein da und wusste nicht, was sie tun sollte.
    Ein Wolf war in Rufnähe, und sie hatte die Flinte nicht mit.
    Ihr Sohn war gefährdet, und die Dogge war weg.
    Es dauerte keine fünf Minuten, da tauchten ihre beiden Lieben
nebeneinander zwischen den Bäumen auf.
    Hinter ihnen, fast zum Greifen nah, schlich der Wolf.
    »Pfeiferl! Seppe!«, schrie die Resi entsetzt. Fast hätte sie die Vase
fallen lassen. »Der Wolf! Hinter euch!«
    Als hätte sie die Worte verstanden, blieb die Sissi kurz stehen, sah
die Resi an und wedelte sekundenlang mit dem Schwanz. Dann leckte sie sich die
Lefzen, trabte zurück zum Wolf und rieb sich an ihm. Sie war eineinhalbmal so
groß wie er. Hell leuchtete das gepunktete Fell herüber.
    »Komm sofort her, Pfeiferl«, rief die Resi in scharfem Ton. »Aber
geh gaaaaaanz langsam. Der Wolf!«
    »Alles okay, Mam!«, rief der Pfeiferl fröhlich und schwenkte die
Arme.
    Ja, war denn heut schon Weihnachten? Die Resi fasste es nicht. Der
Bub konnte ja wieder reden!
    »Sag’s noch mal, Seppe!«, rief sie voller Glück hinüber.
    Das Tier hatte sie für einen Moment vergessen.
    Auch der Seppe hatte sich umgedreht und stand neben dem Wolf. Die
Resi traute ihren Augen nicht. Sollte dies das Tier sein, das erbarmungslos die
Schafe gerissen hatte?
    »Ja, Mam, ich kann reden«, rief der Seppe. »Aber nur hier im Wald.«
    Der Wolf hatte ihr bisher seine Breitseite zugewandt. Als er jetzt
einige Schritte nach vorn machte, meinte die Resi hinter ihm eine Gestalt zu
sehen. Ein menschliches Wesen. War das nicht sogar ein Kind? Ein

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