Grabmoosalm (German Edition)
auf und wurde blass, als die
Stelle kam, an der die Moserin das Gewehr hob und der Oma ins Gesicht schoss.
Mitten durch den Mund.
»Und des Zeug aus ihrem Hirn is wie Kuhscheiße am Fenster und an der
Wand runterglaffa.«
Der Bella wurde ganz anders.
Selbst der Wolf regte sich und rückte von der Sissi ab, als ob er
die Geschichte verstanden hätte.
»Und glaubst du denn, dass die Moserin des mit Absicht gmacht hat?«,
fragte Bella ungläubig mit zartem Stimmchen.
Jetzt fasste der Seppe Mut, ergriff Bellas kleine Hand und sah ihr
tief in die Augen.
»Ja«, sagte er. »I glaub scho.«
Er legte eine Fingerspitze an die Nase und überlegte.
»Und die Mam hat nachher gsagt, dass die Moserin die Oma für den
Wolf gehalten hat. Für den da«, fügte er hinzu und deutete auf den Grauen.
»Und warum hat sie wirklich gschossn? Hat die Moserin deine Oma ned
gmocht?«
»Na«, flüsterte der Seppe leis, damit’s kein anderer hören konnte.
»I glaub, die Oma hat was gwusst, was sie ned hätt wissen sollen. Und
jetzt, wo sie tot ist, kann sie’s nimmer sagen.«
Draußen hämmerte der einzige Specht, den’s weit und breit auf der
Grabmoosalm gab, an einem Loch in seinem Baum, und die Sissi schnaufte tief ein
und legte zufrieden den Kopf auf den Bauch vom Wolf.
Dritter Teil
EINS
Um fünf Uhr in der Früh hatte Rico Stahl es nicht mehr
ausgehalten. Was war nur mit ihm los? Er kaute auf zwei Fällen herum, deren
Lösung ihm früher nur ein müdes Lächeln entlockt hätte. Der Mörder – oder
die Mörderin – von Gülsüm Hastemir hätte schon längst ermittelt werden
müssen. Und diejenige Person zu finden, die die Heimleiterin umgebracht hatte,
sollte auch kein Problem sein.
Doch er hatte es schon bald gemerkt – der neue Job als Mordchef
in Rosenheim gab ermittlungstechnisch nicht mehr das her, worüber er vorher
beim BKA verfügt hatte.
Funktionierte die Spurensicherung schlechter? Waren es die
Mitarbeiter? Lag es daran, dass er kein Einzelkämpfer mehr war, sondern sich
auf ein System – und damit auch auf die Bürokratie – verlassen
musste? Standen ihm nicht genügend Mittel zur Verfügung? Waren die Methoden
veraltet?
Er brauchte nicht lange nachzudenken – an all dem lag es nicht.
Also musste er selbst der Grund dafür sein, dass die Presse anfing nachzufragen
und der Präsident ihn zu sich zitiert hatte.
Allzu unruhig, zu nervös, zu rastlos, um zu schlafen, war er in seiner
Wohnung hin und her gewandert. Er hatte die vier Fotos vom Glastisch im
Wohnzimmer genommen und eingesteckt, die wie Feuer in seiner Tasche brannten,
als er ziellos durch die leeren nächtlichen Straßen von Rosenheim schlenderte.
In diesen Minuten hatte er viele Gedanken gewälzt, alle gleich
verworren, nebulös, gegensätzlich, ja blödsinnig. Er hielt in beiden Fällen den
entscheidenden Durchbruch quasi in der Hand. Doch er kam nicht darauf, wie er
ihn schaffen sollte.
Erst als er daheim sein Sakko auszog und auf einen Bügel hängte,
merkte er, dass es unterwegs geregnet haben musste, ohne dass er davon etwas
mitbekommen hatte. Er war bis auf das Hemd nass.
In der Montagszeitung hatte er von einem lange erfolglosen
Fußballspieler gelesen, der sich nicht mehr rasieren wollte, bis er ein Tor
geschossen hatte. Mit dem inzwischen langen Bart erkannte man ihn kaum wieder.
Selbst von einem Rechtsanwalt hatte er gehört, der seiner gesamten Kanzleibelegschaft
ein nobles Essen versprochen hatte, wenn er auch im nächsten Fall nach zehn
gewonnenen den Sieg im Prozess davontragen würde.
Er nahm das als Ansporn.
Er hob das nasse Anzugsakko in die Höhe und schwor: Ich werde dich
und andere Sakkos nie mehr tragen, bis beide Fälle gelöst sind. Um es dem Anzug
gegenüber zu verdeutlichen, sprach er es aus: »Ich meine den Fall der toten
Gülsüm und den Unruh-Fall.«
Das motivierte ihn.
Als Nächstes duschte er heiß, ging an den Kleiderschrank und suchte
sich ein Hemd aus. Er wählte ein besonders schrilles in Magenta, der Farbe der
Fuchsien und der Telekom.
Im Spiegel sah er sich ziemlich schräg grinsen. Was wohl die Mitarbeiter
sagen würden, wenn er in diesem Aufzug vor ihnen erschiene? Was wohl Chili
sagen würde? Und was Esther bei der nächsten Anhörung, die sehr bald folgen
würde?
Die Fotos! Vor lauter verdeckter Eitelkeit hätte er um ein Haar die
vier Fotos vergessen, die nun wieder auf dem Couchtisch lagen. Sie waren
sämtlich privat. Links lag Franz Mühlhofer, Gülsüms Geliebter. Daneben
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