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Grabmoosalm (German Edition)

Grabmoosalm (German Edition)

Titel: Grabmoosalm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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die kräftige Watschen.
    Flüchtig versuchte er sich zu erinnern, wann er das letzte Mal geschlagen
worden war. Bestimmt mehr als fünf Jahre her, zu BKA -Zeiten.
Er hatte – so wie jetzt – einen Mann verhört, der verdächtigt wurde,
Oberhaupt einer kriminellen Organisation zu sein. Mir nichts, dir nichts war
der Mann aufgesprungen und hatte ihm mit der Faust ins Gesicht geschlagen.
Ricos Lippen waren geplatzt, er hatte geblutet. Seine Wut war so groß gewesen,
dass er zurückschlug und dem Mann das Nasenbein brach. Hinterher hatte dessen
Rechtsanwalt Rico wegen Amtsmissbrauchs und Körperverletzung angezeigt, doch
Rico war freigesprochen worden.
    Eine Frau hatte ihn noch nie geschlagen.
    Wenn seine schöne Perserin so erregt war, dass sie die Beherrschung
verlor, pflegte sie Sachen nach ihm zu werfen. Ein Glas, ein Kopfkissen, eine
gusseiserne Pfanne. Doch geschlagen hatte sie ihn nie.
    Was wäre passiert, wenn sie es getan hätte? Hätte er dann im Zorn
zurückgeschlagen? In dieser Sekunde wurde ihm erstmals klar, dass er es nicht
ausschließen konnte.
    Er kam wieder zu sich und befühlte die brennende Wange. Auch Esther
schien sich wieder halbwegs beruhigt zu haben. Wortlos führte er sie an ihren
Stuhl zurück und setzte sich ebenfalls.
    Er sagte kein Wort.
    In sein Schweigen hinein überraschte sie ihn mit einem abrupten
»Ja«.
    Er räusperte sich. Seine Wange glühte.
    Am liebsten hätte er das Mädchen an sich gezogen.
    »Ja? Was, ja?«
    »Ja. Sie haben recht. Ich habe die Sache mit ansehen müssen. Sozusagen
als Warnung. Sozusagen. Aber mit der Reihenfolge liegen Sie falsch.«
    Aha, hier tat sich was. Allerdings – die letzte Äußerung verstand
er nicht.
    »Reihenfolge? Welche Reihenfolge?«
    »Na, wer Gülsüm getötet und wer den Wagen gefahren hat.«
    Wieder einmal wunderte er sich. Sie behandelte das Thema, das ihr
doch sehr nahegehen musste, wie Alltagskram. Als ob sie ihm ihren Einkauf bei
Aldi schildern würde.
    Darüber hinaus hätte er vor lauter Prügelei fast die Information
übersehen, die Chili ihm vorhin gesteckt hatte.
    Hakan Oben war zwar zurzeit arbeitslos. Doch interessant war, wo er
beschäftigt gewesen war und welcher Arbeitgeber ihn entlassen hatte. Er hatte
in der Papierfabrik gearbeitet, hatte Chili ermittelt.
    »Wer hatte die Idee, Gülsüms Leiche am Parkplatz der Papierfabrik
abzulegen?«, fragte er.
    Noch eine passende Antwort von ihr, und der Fall war geklärt.
    Wieder machte Esther die Geste mit den Handflächen zur Decke. »Ich
bin sicher, Herr Kommissar, das werden Sie selbst herausfinden können. Als
kleine Entschädigung sage ich Ihnen aber hiermit eine Information zu, die Sie
garantiert umhauen wird.«
    Sie bettete beide Hände Zentimeter vor ihrem Körper flach auf den
Tisch.
    »Garantiert!«, sagte sie und lachte ihn schamlos an. »Und diese
kleine Info hat nichts mit dem Mord an meiner Schwester zu tun.«
    »Aha?«, bemerkte Rico. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und
schloss die Augen. »Und was wäre diese nette kleine Info?«
    Esther kicherte. »Bleib ich weiterhin ohne Vorstrafe?«

SECHS
    Das Keuchen hörte sie als Erstes.
    Nur ein Keuchen. Kein Trampeln, kein Rutschen, kein Blätterrauschen,
nichts.
    Nur ein lautes, wütendes Keuchen.
    Dann war er über ihr.
    Es hatte geregnet. Der Regen war nicht sehr stark gewesen
und hatte auch nicht länger als fünfzehn, zwanzig Minuten gedauert. Und doch
war die Nässe durch ihre Kleidung gedrungen. Eine heftige Wut stieg in ihr auf.
Sie wollte sich nicht erkälten, nicht jetzt, wenn sie alle verfügbaren Kräfte
benötigte.
    Sie musste den Berg hinauf, das stand fest.
    Sie befühlte ihr Knie. Der Schmerz raste. Unter ihrer Handfläche
fühlte es sich brennend heiß an.
    Dieses Scheißknie war der einzige Unsicherheitsfaktor in ihrem Plan.
Das Einzige, was sie nicht hatte vorhersehen und berechnen können.
    Bei allem war sie nicht unruhig. Es war eine ideale Gelegenheit.
Hier im Wald gab es keine Menschen. Vorhin war ihr auf einem der Tierpfade ein
älteres Pärchen entgegengekommen. Sie gingen mit Wanderstöcken. Da hatte sie
sich abseits in dichtem Gestrüpp versteckt, bis sie vorbei waren. Drum herum
wuchsen Brombeerhecken, und es gab ein paar Baumgruppen.
    Die Resi!
    Die Resi war die Einzige auf Gottes Erdboden, die ihr Geheimnis kannte.
    Zwei Geheimnisse eigentlich.
    Dass sie Schauspielerin gewesen war und dass sie es war, an der die
Annemirl gestorben war. Niemand sollte wissen, dass sie Aktrice gewesen

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