Grabmoosalm (German Edition)
Mühlhofer, dass sie oft über Nacht nicht
nach Hause gekommen war und dass sie mit ihrem Verhalten Schande über die ganze
Familie gebracht hatte.
»An dem Morgen, als es passierte, hatte ich wieder einmal einen
heftigen Streit mit ihr gehabt. Sie hat mir vorgehalten, dass ich von dem Geld
lebe, das sie mir gab.«
»Und? Stimmt das?«
Er nickte. »Ja, zum Teil. An diesem Morgen hat sie verlangt, dass
ich Frühstück für sie mache, während sie noch im Bett lag. Ich fragte sie, ob
sie sich nicht schäme, Derartiges von mir zu verlangen. Sie aber schrie mich
an, ich könne ruhig etwas für sie tun. Sie arbeite schließlich, und ich säße
den Tag über nur herum.«
Gülsüm, so schilderte Mehmet weiter, habe ihn ausgelacht. Wenn es
ihm nicht passe, könne sie auch zu Freundinnen ziehen, und sie habe auch noch
jemanden, der ihr helfen würde. Er stünde dann allein da und müsse zusehen, wie
er ohne sie und ihr Geld zurechtkomme.
»In diesem Moment habe ich die Beherrschung verloren. Ich war so
außer mir, dass ich nicht mehr wusste, was ich tat. Da habe ich blind auf meine
Tochter eingeschlagen.«
Chili beugte sich vor und legte beide Hände flach auf den Tisch.
»Womit haben Sie auf Ihre Tochter eingeschlagen? Mit den Fäusten?«
Mehmet bat um ein Glas Wasser. Man brachte es ihm.
»Nur dunkel kann ich mich daran erinnern, dass ich plötzlich
irgendein Stück Metall in der Faust hielt …«
»Ein Metall? Eisen? Einen eisernen Gegenstand oder was?«
Mehmet bedeckte sein Gesicht mit den Händen.
»Ich weiß es nicht mehr. Ich schlug jedenfalls damit auf sie ein.
Immer und immer wieder. Ich war so wütend, so außer mir, das müssen Sie
verstehen. Ich habe geschlagen, geschlagen, geschlagen.«
Er griff sich an den Kopf und stöhnte auf.
Chili lachte trocken. »Ich soll das verstehen? Wo haben Sie das
Metallteil denn hergehabt?«
»Es lag wohl auf dem Schrank oder so.«
Chili ließ nicht locker. Sie glaubte dem Mann kein Wort. Immer
wieder versuchte sie, ihn in die Enge zu treiben.
Er wand sich und erzählte das Blaue vom Himmel. Gülsüm sei leblos
aufs Bett gefallen. Da erst habe er gemerkt, dass sie tot sei, und er sei
darauf in Panik geraten. Eine Beruhigungstablette habe er genommen.
Danach sei er ziellos durch die Gegend gelaufen und habe einen
Landsmann getroffen. Der sei bereit gewesen, ihm für dreihundert Euro zu helfen
und die Leiche seiner Tochter fortzuschaffen.
»Was geschah mit dem Bettzeug und der Matratze? Wenn Ihre Tochter
leblos aufs Bett gefallen ist, nachdem Sie sie vorher zu Tode geprügelt haben,
muss sie doch Spuren auf dem Bett hinterlassen haben. Auch Gülsüms und Ihre
eigene Bekleidung war doch sicher mit Blut verschmiert?«
Das hätten er und der Mann von der Straße in den Müllcontainern
verteilt.
Chili wurde es zu bunt. Sie war sicher, dass es keine Affekthandlung
gewesen war, sondern ein kaltblütig geplanter Mord an einer aufsässigen jungen
Türkin, die geltende Moralvorstellungen mit Füßen getreten hatte. Durch ihren
Tod sollte die besudelte Familienehre wieder reingewaschen werden. Die Frage
war lediglich, wer den Mord ausgeführt hatte und wer daran beteiligt gewesen
war.
Sie lud Mehmets Bruder Cem vor. Dieser gab eine vollkommen
abweichende Darstellung des Geschehens.
Mehmet habe Gülsüm mit ihrem deutschen Freund in einer eindeutigen
Situation überrascht, gab Cem Hastemir an, und er habe den Deutschen in die
Flucht geschlagen. Die nachfolgende Auseinandersetzung sei dann eskaliert, und
Mehmet müsse wie von Sinnen zugeschlagen haben. Dann sei sein Bruder zu ihm
gekommen und habe ihn als Familienoberhaupt angewiesen, die Leiche
abtransportieren zu helfen.
Chili stand nach dieser Aussage auf. Der Zorn stand ihr ins Gesicht
geschrieben.
»Der angebliche Liebhaber befand sich zu diesem Zeitpunkt an seiner
Arbeitsstelle!«, sagte sie Cem Hastemir ins Gesicht.
Die Kripo hatte auch die Aussage einer älteren Hausbewohnerin aus
der Adlerstraße 17 in der Kastenau, dem Wohnhaus der Hastemirs, erhalten.
Sie hatte beobachtet, wie nachts zwischen ein und zwei Uhr zwei Männer einen
etwa zwei Meter langen hellen Gegenstand aus dem Haus trugen und in einem
beigefarbenen Lieferwagen mit Heckklappe verstauten. Beide Männer seien durch
die Beifahrertür in das Fahrzeug eingestiegen. Am Steuer sei eine dritte Person
gesessen.
Ob sie sich dessen ganz sicher sei?
Ja, sie war sich ganz sicher. Eine dritte Person hatte hinter dem
Steuer des Lieferwagens gewartet.
Vor
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