Grace & Josephine - Eingeschneit (German Edition)
würden, denn Carlos` Konzentration war gerade sichtlich auf anderes gerichtet als auf den Verkehr.
Als er aufgelegt hatte, drehte er sich kurz zu ihr um und teilte ihr stolz mit: „Ich bin Vater geworden!“
„ Wow! Ich gratuliere!“, sagte Grace. Okay, in dem Fall verstand sie natürlich, dass man laut jubelte. „Ein Junge oder ein Mädchen?“
„ Ein Mädchen. Wir werden sie Maria nennen. Nach meiner Mutter.“
„Na, dann werde ich wohl heute Ihr letzter Fahrgast sein, oder? Sie wollen sicher so schnell wie möglich zu Ihrer Frau und Ihrem Baby.“
Carlos schüttelte den Kopf. „Nein, leider nicht. Ich wünschte, ich könnte, aber sie sind in Kuba.“
„Sie meinen, Ihre Familie lebt in Kuba, während Sie hier leben?“ Grace war ein wenig schockiert.
„Ja, ich arbeite hier, wissen Sie, um Geld zu verdienen und es ihnen zu schicken. Zuhause gibt es keine Arbeit.“
„Oh, das tut mir wirklich sehr leid, dass Sie von ihrer Frau getrennt sind. Ich hoffe, Sie beide werden bald wieder vereint sein.“
„Dankeschön. Ja, das hoffe ich auch.“
...
Sie waren am Times Square angekommen und Grace wollte bezahlen, doch Carlos winkte ab: „Die Fahrt geht auf mich. Heute ist ein ganz besonderer Tag, ich bin zum ersten Mal Vater geworden. Ich könnte die ganze Welt umarmen.“ Mit diesen Worten fuhr er davon und Grace sah dem Taxi traurig nach.
Wir wissen oft gar nicht, wie gut wir es haben , dachte sie. Doch dann sah sie sich um, auf der Suche nach Jo.
Ach, ich hätte das Wichtigste beinahe vergessen , erinnerte sie sich, holte die rot-grüne Pudelmütze aus der Tasche und setzte sie auf.
Da Jo noch nirgends zu sehen war, lief sie ein bisschen auf dem Times Square herum. Große beleuchtete Werbetafeln zierten den Platz. Menschen aus aller Welt waren gekommen, um ihn auf einem Foto für immer festzuhalten. Bunte Lichter und Weihnachtsdekorationen schmückten die Schaufenster. Es gab viel zu sehen und zu hören, doch von Jo war weit und breit nichts zu sehen.
Sie hat ja auch ihren Koffer, wahrscheinlich war sie doch nicht ganz so schnell wie ich, dachte sie und ging auf einen Laden zu, der New York Souvenirs anbot. Auf einem Regal entdeckte sie etwas, das Jo unglaublich gefallen würde: eine Schneekugel mit den Wolkenkratzern von New York, und wenn man sie schüttelte, rieselte es nicht nur Schnee, sondern auch winzige kleine Freiheitsstatuen.
Oh mein Gott, die wäre perfekt für Jo!, fand Grace. Und da ich ihr Geschenk in meinem Koffer habe, von dem ich nicht einmal weiß, wann er ankommt, sollte ich sie ihr unbedingt kaufen. Sie wird sich soo freuen.
Sie sah auf das Preisschild und erkannte, dass sie fünfundzwanzig Dollar kostete, doch das machte ihr im Moment nichts aus, weil sie wusste, wie sehr Jo Schneekugeln liebte – genau wie sie selbst. Wieder eine Gemeinsamkeit.
Schon auf dem Weg zur Kasse fiel ihr Blick durch das Fenster und auf eine Frau, die an einer Hauswand lehnte. Sie saß auf dem nackten, kalten Boden und war in dicke Decken eingehüllt. Die Arme musste schrecklich frieren. Erst bei näherem Hinsehen erkannte Grace, dass zwischen den Decken zwei Kinderköpfe herausguckten.
Sie hielt sich eine Hand ans Herz und hatte sofort feuchte Augen.
Sie stellte die Schneekugel wieder zurück ins Regal, verließ den Laden und ging auf sie zu. Sie konnte sehen, wie die Frau, ebenso wie ihre beiden kleinen Kinder, zitterte. Weiße Schneeflocken zierten die Decke, die versuchte, ihnen ein wenig Wärme zu schenken.
Zutiefst berührt nahm Grace die fünfundzwanzig Dollar, die für die Schneekugel gedacht waren und reichte sie der Bettlerin mit einem traurigen Lächeln. Die Frau sah erstaunt auf und nahm das Geld dankbar an.
„Gott segne Sie, Miss“, sagte sie ehrfürchtig und Grace hatte zum ersten Mal an diesem Tag das Gefühl, dass etwas richtig
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