Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
sein Handeln von verletztem Stolz und törichter Eitelkeit bestimmt und durch keinerlei E r fahrung mit dem rauhen Alltag eines kriegerischen U n ternehmens zur Besonnenheit gedämpft. Der Sergeant hingegen war mit allen Wassern gewaschen, Krieg war sein Handwerk, doch leider suchte er das Abenteuer auch, wenn er es nicht schon vorfand.
Hätte ich mich aus allem rausgehalten, hätte ich mich gefühlt wie zwischen zwei Mühlsteinen. So konnte ich mir wenigstens einbilden, mein Rat sei das Wasser, das sich auf die eine oder andere Mühle goß. Wo ich mich schon en t schlossen hatte, nicht wegzulaufen, mochte ich auch nicht als störrischer Esel dastehen.
Eine bequeme Sänfte war der erste Lohn für solch pos i tive Einstellung. Um mein übriges leibliches Wohlergehen macht e i ch mir keine Sorgen. Häftlingsschicksal ist wah r scheinlich nur gräßlich, wenn man ohne Hoffnung und pe r sönliche Ansprache Teil einer grauen Masse ist. Hat sich einer über diese erhoben, Beachtung erzeugt und gefunden, ist gute Behandlung eigentlich die logische Folge. Ich könnte mir den Rest meines Lebens als So n der-Gefangener gut vorstellen. Gefahr ist nur gegeben, wenn das Interesse der Höheren an dir erlischt, dann la s sen sie dich tief fallen, präzise in den Tod, während in dem grauen Heer der N a menlosen ein Überleben gegeben ist. Doch was für ein L e ben?
Im Morgengrauen zogen wir an den Mauern von Lecce vorbei. Die zum Markt strömenden Bauern zogen den Hut vor mir …
Böses Erwachen
Otranto, Herbst 1245
»Die Kinder! Die Kinder sind verschwunden!«
Von diesem Lamento ihrer Zofen und Zimmermädchen wurde die Gräfin jäh aus ihrem Tiefschlaf gerissen. Die Sonne stand schon hoch am Himmel. Sie sprang aus dem Bett, stieß die Ankleiderin, die Badefrau und die Kämm e rin beiseite und raste zum Zimmer der Kinder. Die Decken der Betten fehlten, wie auch etliche Wäsche.
»Was steht ihr noch dumm herum?!« fuhr sie Köchin, Amme und Gouvernante an. »Sucht sie!«
Sie ließ die Wachen rufen; keiner hatte die Kinder an diesem Morgen gesehen. Die Soldaten erhielten Zutritt zu den inneren Gärten und den Gebäudeteilen, die sie anson s ten nicht zu betreten hatten.
Crean tauchte auf; er wollte sofort Tarik wecken lassen. Die Gräfin hielt ihn davon ab.
»Ich habe einen furchtbaren Verdacht!« vertraute La u rence ihm an, als sie wieder allein waren. »Gott hat uns gestraft!« Si e z itterte am ganzen Leibe: »Ist es möglich, Crean, daß die Kinder, ich meine, die richtigen, mit den falschen vertauscht wurden?«
Crean schüttelte den Kopf, doch Laurence war nicht zu beruhigen. »Sollte Hamo so weit gegangen sein, mir nicht nur Clarion zu rauben, sondern mir auch noch die Kinder wegzunehmen?«
»Auf keinen Fall! Ich meine, wir sollten zunächst die zuständigen Betreuerinnen befragen.«
Auch dies brachte indes wenig Aufschlußreiches zutage.
»Die Kinder« stellte Crean schließlich fest, »sind a n scheinend pünktlich zu Bett gebracht worden; sie waren allerdings auffällig brav – wie mir die Amme unter Tr ä nen gestand, die jeden Abend als letzte sie zudeckt, nie ohne den Versuch zu unternehmen, mit ihnen zu beten. Sie h a ben sogar gebetet!«
Die Gräfin nahm ihn beiseite: »Ihr wart doch heute nacht dabei. Gab es die geringste Möglichkeit, die Kinder au s zutauschen?«
»Nein«, sagte Crean, ohne nachzudenken. »Hamo hatte die falschen Kinder schon am Abend in die Burg ko m men lassen. Mit dem Abendessen erhielten sie ein starkes Schlafmittel. Den Schlüssel zu ihrer Kammer hatte er in Verwahrung genommen – aber der Raum ist jetzt leer!«
»Wer« – Laurence war wütend auf sich selber, daß sie den Abmarsch nicht persönlich beaufsichtigt hatte – »wer hat die eingewickelten Kinder kontrolliert, die Clarion in die Sänfte gereicht wurden?« Sie hatte also doch noch von einem Fenster aus alles verfolgt!
»Ich habe die Köchinnen vernommen, die sie aus der Futterkammer geholt haben«, sagte Crean. »Denen wäre eine Verwechslung aufgefallen –«
»Oder sie stecken unter einer Decke mit –«
»- den Kindern!« kam Crean die Eingebung. »Der Schlüssel liegt bei den Kindern! Sie hingen an William. Vielleicht wollten sie mit ihm zusammen …? «
»Wer«, funkelte die Gräfin aufgebracht, »will denn noch alles mit diesem häßlichen Mönch – erst dieses aufgetake l te Straßenmädchen –«
»Halt!« sagte Crean. »Ist die Hur noch im Hafen?«
»Ich hoffe, sie hat die Segel gesetzt!«
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