Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
die Hasen zwischen den Bäumen davonla u fen.
Als der Wald zu Ende war, öffnete sich vor uns eine ti e fe Schlucht, in der ein Wildbach toste. Zwei nebeneinander liegende Baumstämme dienten als schmale Brück. Da mir schwindelte, ließ ich mir von dem Fahnenträger die Fahne reichen und benutzte sie als Balancierstange; er folgte auf allen vieren. Danac h k am der starke Roberto, der die A m me an der Kette führte, und hinter den Ki n dern hielt Hamo das andere Ende. Die dicke Frau ging tapfer voran, hatte aber die Augen fest geschlossen, doch Roberto zog sie in seine Richtung, bis sie festen Boden unter den Füßen hatte.
Roberto zerrte sie weiter, denn die Kinder hatten sich vor Angst schreiend auf die Erde geworfen, so daß er auch ihre beiden Körper an der Kette über die Bohlen schle i fen mußte, bis sie in Sicherheit waren, aber immer noch brül l ten sie wie am Spieß, übertönt vom Tosen des Flu s ses.
»Der Steg muß weg!« rief Roberto, warf sich auf den Boden und rüttelte an den Stämmen, die sich im Lauf der Zeit fest in die schroff abfallende Felsböschung ve r klemmt hatten. Sie rührten sich nicht. Roberto kniete nieder und umschlang sie mit beiden Armen, die Adern traten ihm auf die Stirn – plötzlich, mit einem Ruck hatte er sie hochgeri s sen. Roberto schwankte, dann wurde ihr frei gewordenes Gewicht übermächtig, er verlor die B a lance und stürzte vornüber vor unseren Augen in die Ti e fe. Wir sahen seinen Kopf noch mal auftauchen, zwischen Felsen und den schnell davontreibenden Hölzern, und dann war nichts mehr, nur noch das schäumende Wasser – und drüben im Wald blitzten die Helme unserer Verfolger auf.
Wir hasteten den Felspfad hoch, weniger aus Furcht, g e sehen zu werden, als um uns aus dem Bereich ihrer Pfeile zu bringen. Vorsichtig über einen Stein spähend, sah ich drüben Vitus von Viterbo wohl nach einer Axt schreien und, als man sie ihm endlich gereicht, mit solcher Wucht auf die nächste Tanne einbauen, daß der Schaft zerspli t terte und das Eisen im hohen Bogen ins gurgelnde Wa s ser flog. Hätte er den hohen Baum mit Maß gefällt, er wäre genau über die Schlucht gestürzt, und unser letztes Stündlein hätte gar bald geschlagen. So aber zogen sie ab.
Ich betete still für Roberto, den tapferen Mann, und r e dete mir ein, daß er sich womöglich an einem hängenden Ast herausz uz iehen vermocht hatte. Sonst möge der Herr seiner Seele gnädig sein!
Erst stellenweise, doch bald überall bedeckte harter Schneefirniß den Felshang, Verwehungen hinderten uns e ren mühseligen Aufstieg ebenso wie Gesteinsbrocken, die des öfteren sich aus der Wand lösten und mit Gepo l ter an uns vorbei talwärts sprangen. Die Luft wurde schwerer zu atmen und vor allem kälter und der Schnee immer höher.
»Laß uns umkehren, Hamo« sagte ich ruhig, um nicht seinen Stolz zu verletzen und seinen jugendlichen Trotz herauszufordern, »wir sind längst vom Weg abgeko m men und bald geht ’ s auch nicht mehr weiter. Noch kö n nen wir unseren Spuren zurückfolgen und uns vielleicht retten.«
»Du hast recht«, sagte Hamo und starrte auf die dicke Amme, die die Kinder hinter sich herzog.
In dem Moment erfüllte ein Donnern und Pfeifen die Luft, eine Eiswolke fegte über uns weg, preßte den Atem aus den Lungen, ich sah noch, wie die Amme leicht wie eine Feder da-vonschwebte, die Kinder wohl mit sich re i ßend, doch sah ich sie nicht mehr in dem weißen Schne e meer, das mich forttrug und unter sich begrub. Es wirbelte mich herum, krampfhaft hielt ich die Fahne fest, ich wußte nicht, ob ich schon im Himmel war oder nur kopfstand, ich spuckte, keuchte – Hölle! Du bist mir s i cher! Wozu noch mit den Engeln worsteln? Der dicke William tat seinen letzten Schnaufer, seine Lebensgeister fuhren stöhnend zum Teufel, mich umfing ein warmes Himmelsbett, in dem ich sanft entschlief …
VII
DIE SARATZ
Der Graue Kardinal
Castel Sant ’ Angelo, Winter 1245/46
Die Peitschenschläge klatschten nicht, fauchend surrten sie nieder auf den muskulösen Rücken des Delinquenten; sie pfiffen wie die Stöße eines Sturmwinds, legten Pa u sen ein zum unhörbaren Mitzählen, zum hastigen Atmen zw i schen zusammengebissenen Zähnen, um dann mit schrec k lich gleichmütigem Pendelschlag aufs neue die Luft und dann die Haut zu durchschneiden. Das Fleisch auf den Rippen rötete sich, schwoll und platzte auf – Striemen für Stri e men.
»Nicht weil du sie hast entkommen lassen«, sagte die Stimme
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