Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
Schweigen auferlegte. In jenem Augenblick war ich zu i h rem Komplizen, geworden, zum Verschwörer – und Verr ä ter.
Bald darauf war es gewesen, da lag ich wieder zur g e wohnten Stunde im Heu unseres Liebesnests, als draußen das Bimmeln und Bammeln der Glocken die Ankunft der Ziegenherde ankündigte. Ich blieb liegen und stellte mich schlafend. Es fiel mir auf, daß durch die aufgestoßene Tür auch die Tiere in die Hütte drangen, die Rüesch sonst i m mer mit ihrer Rute vom Notvorrat ferngehalten hatte. J e mand glitt neben mir ins Heu. Ich blinzelte unter den L i dern hervor und schaute in die veilchenblauen Augen von Madulain.
Sie war ein schönes Mädchen, schlanker, größer als Rüesch, mit einem weichen Gesicht, hervortretenden B a ckenknochen, vollen Lippen und eben diesen großen A u gen, die zu ihrer dunklen Haarflechte so seltsam kontra s tierten. Sie wirkte wie eine Fre md e, wie eine Prinzessin unter den stämmigen Bergtöchtern der Saratz, die braung e brannt, heiter und muskulös waren. Madulain redete auch nicht wie ein lustig sprudelnder Wasserfall, wenn die Mä d chen untereinander waren. Sie war eine Ve r sponnene.
»William«, sagte sie, »du verfügst nicht nur über eine vortreffliche Zunge, sondern du hast auch gute Ohren.« Sie rückte nicht näher an mich heran, aber ich fühlte, wie Flammen nach mir griffen; mir wurde es mulmig, mein eigenes Fleisch begann zu sieden. »Ich habe ein Auge auf Firouz geworfen …« Mein Mienenspiel muß wenig Ve r ständnis für diese Wahl ausgedrückt haben. »Er hat einen Schwanz wie ein Pferd. Ich will ihn haben! Er hält ihn für mich bereit. Du, William«, sagte sie traurig, »hinderst u n ser Glück!«
»Nimm ihn dir doch«, unterbrach ich sie fast ärgerlich, neidisch auf diesen Kerl mit seinem – »Solange du da bist, muß er sich mir verweigern, muß seinen Anspruch auf Rüesch aufrechterhalten, auch wenn er sie gar nicht mehr will –«
»Bist du dir da sicher, Madulain?«
Das schöne Geschöpf schaute mir offen in die Augen, ihre Melancholie drängte sich wie ein dumpfes Weh in mein verstörtes Gehirn.
»Sicher«, sprach sie, »sind wir uns alle nur im Auge n blick der fleischlichen Vereinigung. Rüesch mag sich nach dem Honigmond wieder Firouz zuwenden, du könntest noch vor der Hochzeit verschwinden –«
»Ich werde aber bleiben und sie zu meinem Weib ne h men!« sagte ich fest, was Madulain nicht aus ihrer st o ischen Ruhe brachte. In ihrem Kopf spukten Gedanken, die sich meiner Vorstellung entzogen.
»Ich gebe dir heimlich meine Schneeschuhe«, flüsterte sie und brachte ihren breit geschwungenen Mund, diese glänzenden, vollen Lippen näher an mein Ohr. »Ich bri n ge dir bei, wie man auf ihnen läuft, gleitet und springt. Kein Steinbock, keine Gams ist schneller; vor dem Schne e schuhmenschen gibt es kein Entkommen –«
»In Wahrheit, Madulain«, begehrte ich empört auf, »willst du mich loswerden, indem du mich zur Flucht ve r leitest!«
»Ich bin ehrlich mit dir, William«, gurrte sie leise in mein Ohr, und die Schlange der Versuchung fuhr mir in Muschel und Gehörgang.
Natürlich wollte ich, schon immer – aus Neugier, aus Freiheitstrieb. Ohne die Beherrschung der Gleitkunst blieb ich Gefangener des Hochtals. »Ich will Rüesch nicht ve r lassen, ich habe mich entschieden, an ihrer Seite meine Tage wie Nächte hier –«
»Schweig!« zischte Madulain und legte mir ihren Finger auf den Mund »Ich habe dir ein Angebot gemacht, das g e gen das Gesetz verstößt. Die Grauen Räte würden mich dafür steinigen lassen. Hast du mal gesehen, wie eine Frau gesteinigt wird?«
»Ich kann es mir vorstellen, Madulain, aber ich kann dir nicht versprechen zu fliehen. Im Gegenteil, ich schwöre dir –«
»Schwöre nicht, William!« Sie erhob sich räkelnd in die Knie. »Die Zunge würde dir verdorren«, und zum ersten Mal glitt ein überlegenes Lächeln über ihre traurig ve r schlossenen Züge. »Wir schließen einen Pakt, der nichts ausschließt: Ich lehre dich den geschickten Gebrauch der Schneeschuhe –«
»Und ich?«
»Du lehrtest meine Lieblingsziege den geschickten G e brauch ihrer Zunge«, und mit aufwühlend langsamer B e wegung schlug sie ihr Kleid zur Seite: frei lagen ihre gla t ten Schenkel, sie öffnete schamlos ihren Schoß, den ich natürlich keiner noch so rosigrauhen Ziegenzunge mehr gönnen mochte.
Und so verging der Sommer. Ich wurde schlank wie eine Gerte; denn um die nötigen Schneefelder zu erreichen,
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